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Freiheitsstatue im Lockdown

„vanderkurth“ – unter diesem Künstlernamen ist das Multitalent Tomas Kurth seit Jahrzehnten in seiner Heimatstadt Stuttgart aktiv. „Bildender Künstler“ ist zu eng gefasst, und selbst „Maler, Bildhauer, Musiker, Fotograf, Bühnenbildner“ beschreibt nur einige seiner vielen Tätigkeiten. Nach hunderten von Gemälden, tausenden von Zeichnungen und einer Unmenge an Radierungen hat vanderkurth sich seit zwei Jahren auf Statuen spezialisiert. Während des Lockdowns 2020 / 2021 schuf er seine „Freiheitsstatue“ und enthüllte sie letzten Sommer. Alexander Tuschinski, Regisseur und Filmemacher, porträtiert den Künstler in seinem abendfüllenden Dokumentarfilm „Statue of Liberty“, der sich in den letzten Zügen der Postproduktion befindet.

von Alexander Tuschinski


Tom, bei unserem ersten Treffen beeindruckte mich sofort, dass du seit Jahrzehnten ununterbrochen Kunst erschaffst. Manches verkaufst du, anderes bleibt bei dir. Selbst neben einem „Brotjob“ findest du immer Zeit für eigene Arbeiten. Viele Künstler fangen zwar mit einem ähnlichen Elan an, aber nur wenige halten ihn so lange durch. Woher stammt die Energie für dein kreatives Schaffen?

Gott sei Dank ist das, was ich tue, zurzeit nicht strafbar. Wäre ich ein Triebtäter mit kriminellem Hintergrund, würde die Justiz einen forensischen Psychiater auf mich ansetzen, um die Gründe für mein Treiben zu ergründen. Als Künstler genieße ich einen Freiraum; der Volksmund nennt ihn „Narrenfreiheit“. Das deutsche Grundgesetz hat für Leute wie mich in Artikel 5, Absatz 3 das Kunstrecht festgeschrieben.

Das erklärt, so hoffe ich, dass ich meinen künstlerischen Trieb – und um nichts anderes handelt es sich hier – hemmungslos und ohne Rücksicht auf die eigene Vernunft auslebe, Opfer und Verzicht inklusive. Das Maß der Energie ist genetisch und biologisch bedingt,  dafür bin ich meinen Eltern dankbar.

Zwischen Kunst und Ukulele – vanderkurth:

Wann wurde dir klar, dass du deine freie Kunst zum Lebensinhalt machen willst? Hattest du auch überlegt, andere Berufe zu ergreifen?

Uuuh je! Klarheit kenne ich nur vom Hörensagen. Ich bin ein vom Leben getriebener. Ich balanciere auf einem schmalen Seil, den Abgrund kann ich mir nicht leisten. Der „Lebensinhalt“ ist das Leben selbst; komme, was da wolle!

Auch der Nebel ist real existent; da muss man durch, will man die Sonne sehen. Klar habe ich mir andere Berufe überlegt. Ich wollte Vorstandsvorsitzender von Mercedes Benz werden – hat leider nicht geklappt.

Viele deiner Werke sind sehr humorvoll, oft gesellschaftskritisch, und praktisch nie in der aktuellen Tagespolitik verhaftet. Wie beschreibst du deinen Stil?

Ja, Humor ist mein zweiter Vorname, der dritte: Wasser. Die real existierende Wirklichkeit, so, wie sie sich mir in den Weg stellt, ist für mich nur mit Humor zu ertragen. Und mit Kritik. Wer einmal gedanklich aus dem, was wir „Bewusstsein“ nennen, auch nur für kurze Zeit ausgestiegen ist, für den gibt es kein Zurück. Die Tagespolitik macht mich fassungslos, da sollen andere ran, dafür ist mir meine Zeit zu schade.

Natürlich hätte ich gerne, dass man*in einstens sagt: „ah, der VANDERKURTH, war das nicht der, der den Stilismus erfunden hat?“ Doch dazu bin ich nicht eitel genug. Ich male Bilder, erschaffe Plastiken, singe Lieder, schreibe Texte und mache blöde Sachen. Mehr nicht.

Seit Juni ist deine „Statue of Liberty“ enthüllt. Wie fühlst du dich damit, und wie kamst du auf die Idee zu diesem neuen Werk?

Seit drei Jahren beschäftige ich mich intensiv mit der Statuenserie „Denkmäler“, die gewöhnliche Menschen auf ein Podest stellt. Als 2020 die Lockdowns begannen, fielen plötzlich viele Auftrittsmöglichkeiten, Ausstellungen und Aufträge weg. Zur gleichen Zeit trennten sich auch noch meine langjährige Frau/ Freundin und ich auf dem Weg zum Traualtar.

Da freundete ich mich erstmal wieder mit mir selbst an und stellte mich auf einen Sockel. Dort stand ich dann eine Weile wie ein Trottel. Das war befreiend.

Aber zurück zu deiner Frage: Das deutsche Wort „Einfall“ beschreibt ganz gut den Vorgang. Ideen kommen meist aus heiterem Himmel und fallen von dort oben direkt in das Gehirn des Künstlers da unten. Und sie sind äußerst flüchtig. Wohl dem, der einen Skizzenblock oder ähnliches zur Hand hat! Und ich hatte ihn griffbereit, als die Freiheitsstatue herunterfiel, deshalb blieb dieser Einfall der Nachwelt erhalten. Möge sie an der Hafeneinfahrt von Stuttgart, gleich ihrer New Yorker Namensvetterin vor hundert Jahren, die ankommenden Migranten ermahnen, dass hier eine große Aufgabe auf sie wartet. Freiheit kann auch anstrengend sein, ist sie doch gleichzeitig mit Verantwortung verbunden. Aber jetzt werde ich schon wieder zu ernst.

Unser Film „Statue of Liberty“ entstand oft ganz spontan. Ich drehte meist auf dem Smartphone und hatte nach jedem Drehtag neue Ideen, wie er weitergehen könnte. Meist setzte ich einfach nur Zeit und Drehort fest. Am Set fielen uns beiden oft komplett neue Dinge ein und wir setzten sie direkt um. Beim Schneiden schuf ich dann daraus Tag für Tag den Film. Wie empfandest du den Dreh?

Mir liegt spontanes Arbeiten sehr. Ich habe schon bei vielen verschiedenen Filmproduktionen mitgewirkt, meist als Setbauer. Dein Dreh war aber anders als alle, bei denen ich bisher war. Es fühlte sich an, als ob wir jeden Tag zusammen ein Gesamtkunstwerk schaffen. Die Kreativität hat „gesprüht“, alles schien möglich, es gab keinerlei äußere Vorgaben. Nicht einmal die Laufzeit war von Anfang an klar. Zuerst schien es ein Kurzfilm zu werden, doch dann wurde er abendfüllend. Du kamst oft auch einfach spontan vorbei. Wir hatten an manchen Tagen gar nicht vor, zu drehen, und dann entstanden trotzdem neue Szenen, meistens die besten!

Am Set hatte das Gefühl, mich entfalten zu können, du nahmst mich künstlerisch auf Augenhöhe ernst. Ich merkte immer wieder, dass du an jedem Tag schnell eine genaue Vorstellung hattest, was du jeweils drehen wolltest – aber du mochtest es dabei trotzdem, immer wieder spontan ganz neue Ideen zu integrieren. Und ich war immer wieder beeindruckt, wie du im Schnitt dann aus unseren lustigen Tagen ein kohärentes Werk geschaffen hast. Oft hatte ich Deine Anwesenheit gar nicht wahrgenommen, das möchte ich als Kompliment verstanden wissen. Der Film ist eins meiner Highlights der letzten Jahre.

vanderkurth mit Alexander Tuschinski beim Dreh (v.r.n.l.):

Deine „Denkmäler“ haben einen eher comichaft-stilisierten Look, den du auch bei der Freiheitsstatue beibehalten hast. War das eine bewusste Entscheidung?

Ja, klar! Da ich endlich berühmt werden will, müssen ich und meine Statuen in einem Look daher kommen, den alle verstehen und lieben. Man kann es auch den größten gemeinsamen Nenner nennen, um einmal mehr zu kalauern. (>siehe Humor weiter oben)

Vor den Denkmälern gab es immer wieder bestimmte Phasen in deinem Schaffen. Wie weit planst du diese im Voraus?

Ich plane nix, ich bin ein von den Phasen Getriebener.

Ouzo, das griechische „Nationalgetränk“, inspirierte deine „Ouzographien“: Hunderte humorvolle Zeichnungen von Ouzogläsern, die über Jahre oft spontan in einer Kneipe entstanden. Darin verdichten sich extrem viele kreative und lustige Ideen auf kleinstem Raum. Ich finde, sie sind eins deiner Hauptwerke. Erzähl bitte darüber.

Ja, auf die bin ich auch sehr stolz, auch wenn die Entstehung für die Gesundheit nicht gerade zuträglich war. Du hast ihnen in deinem Film den Raum gegeben, den sie verdienen, obwohl ich anfangs nicht so begeistert davon war. Aber als ich von Deinem Hintergrund als Historiker erfuhr, habe ich mich demütig gebeugt und die Dose der Pandora geöffnet. Sie sind nur Zeugnis meiner Zeichentechnik, durchdekliniert an einem einzigen Sujet.

Du arbeitest oft gegenständlich, „figürlich“. Abstrakte Werke finden sich selten in deinem Schaffen. Wie kommt das?

Als ich in den 80ern an der Kunstakademie in Stuttgart studierte, war in der Kunstwelt figürliches Arbeiten verpönt. Die Malerei wurde für tot erklärt. Bildhauern, die figürlich arbeiteten, haftete der Ruch des „Dekorativen“ an. Meine Kollegen, die abstrakt arbeiteten, taten das nur, um hurtig fertig zu werden und schneller wieder in die Kneipe zu kommen. Das war nicht mein Ding, obwohl ich nichts gegen Kneipen habe. (> siehe OUZOGRAFIE)

Du spielst viele Instrumente, gerade hauptsächlich die Ukulele. Schon 1975 hattest du mit „Flick Flack Huckepack“ ein Album produziert. Wie waren deine musikalischen Anfänge? Hattest du als Jugendlicher Musikunterricht?

Ja, aber mein Musiklehrer konnte mich nicht besonders leiden. Meistens musste ich vor der Türe im Gang stehen. Das „Picknick im Neandertal“, so heißt das Opus, war meine Rache. Schön, dass die Musik vierzig Jahre später nun in deinem Film als Soundtrack zu Ehren kommt.

In „Statue of Liberty“ hast du oft sehr lustige Sprüche und Darbietungen improvisiert. Bei Testvorführung haben dich einige Zuschauer mit Bob Ross verglichen, wenn du geduldig in einigen Szenen die Statue mit Putz bestreichst und dabei erzählst. Hast du dich je als Schauspieler versucht?

Nicht wirklich, aber meine Gesangslehrerin hat mir einige Kniffe beigebracht. Eines Tages wollte Sie, dass ich mir eine Figur ausdenke. So kam es, dass ich den „singenden Tankwart“ gebe; so trete ich auch in deinem Film auf. Das Publikum will unterhalten werden und das ist auch OK. Auf Bob Ross bin ich neidisch, der hat mir das Merkantile voraus.

In den 70ern hattest du im Schwarzwald eine Art kreative, alternative Wohngemeinschaft in einem historischen, ehemaligen Gasthof gegründet. Wie lief das ab?

Uh, ja. Die jugendliche Elite zog es damals aufs Land. Wir wollten die Welt retten. Wir waren die Keimzelle der GRÜNEN. Wir bauten unser eigenes Gemüse an und backten unser eigenes Brot aus biologisch-dynamischem Mehl. Die Dorfbewohner schüttelten den Kopf und sagten: „Die Bauern sind weg, jetzt kommen die Experten!“

Ich bin Einzelkind und meine Jugend war aus verschiedenen Gründen eher problematisch. Da war es sehr wohltuend, eine eigene Wahlfamilie mit Gleichgesinnten zu haben.

Mit meinen Künstlerbiographien möchte ich Menschen inspirieren, selbst ihre Kreativität auszuleben. Was möchtest du Lesern und Zuschauern mitgeben, die gern kreative Projekte erschaffen möchten, aber noch Hemmungen haben?

Es ist beglückend, etwas Sinnvolles getan zu haben, ist ein Werk gelungen. Man sollte sich allerdings keine Illusionen machen. Meist ist es Arbeit, und man muss auch mit dem Scheitern klarkommen. Ich werde oft gefragt: „Ja, kann man*in denn davon leben?“

Da ist hilfreich, man hat einen gutverdienenden Partner oder einen pfiffigen Manager, der einen nicht über den Tisch zieht. Oder man*in ist Bob Ross und ist ein Genie der Selbstvermarktung. Ein Superstar zu werden ist den wenigsten vergönnt. Gelingt es dennoch – umso besser!

Aber nur zu, Mut hat noch keinem geschadet. Hemmung dagegen schon.

Ein Vorschmack auf Alexander Tuschinskis „Statue of Liberty“:

Quelle: YouTube

Mehr über Regisseur und Filmemacher Alexander Tuschinski im Interview von Schauspieler Thomas Goersch.

 

Bilder: © Alexander Tuschinski

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Zum Lachen: Die drei witzigsten Podcasts

Es gibt zu viele Podcasts. Und dann werden es auch noch immer mehr. Weil das schnell unübersichtlich wird, muss eine Vorauswahl her: Das hier sind die drei ganz objektiv witzigsten Podcasts der Welt.

Ein Gastbeitrag von Markus Hanfler


Wie erfolgreich Podcasts zurzeit sind, lässt sich an einer Zahl messen. 100 Millionen Euro. So viel hat der schwedische Musik-Streaming-Dienstleister Spotify dem streitbaren, kontroversen Podcaster Joe Rogan bezahlt. Ein Investment ,das sich wohl gelohnt hat. Spotify verkündete unlängst, dass die Nutzer٭innen um 27% auf 345 Millionen gestiegen sind. Und Schuld daran sind Podcasts, allen voran, die von Michelle Obama, Meghan Markle und eben Joe Rogan.

Es scheint, als produzieren gefühlt alle Berühmtheiten, die etwas zu erzählen haben, Podcasts, so als ob es nun zum guten Ton gehört, dass jeder eine eigene Show hat. Dabei ist der Podcast keine neue Erfindung. Das Format ist aber in den letzten Monaten und Jahren immer erfolgreicher und beliebter geworden. Ständig kommen neue Podcasts dazu. Zurzeit sollen es 850.000 aktive Podcasts sein, 70% mehr als noch vor zwei Jahren. Das sind so viele, dass sich schnell die Angst einstellt, etwas zu verpassen. Aber die Angst wird bekämpft. Mit dieser finalen, vollkommenen und maßgebenden Liste der drei witzigsten Podcasts der Welt.

1. WTF with Marc Maron

© Jason Baldwin (flickr/Creative Commons)

Die Abkürzung im Titel steht wirklich für „What the fuck“. Ohne zwanghafte Überinterpretation, der Titel hat nichts mit der Show zu tun. Marc Maron schockiert nicht und Mist produziert er auch nicht. WTF ist einfach ein sehr guter, einfühlsamer Interviewpodcast, der den Gast und sein Werk im Detail beleuchtet. Warum ist er witzig? WTF ist nicht immer witzig, aber sehr oft. Marc Maron ist Stand-up-Comedian und nutzt oft den Anfang einer Sendung, um Witze zu testen. Auch im Interviewteil überzeugt Maron immer wieder mit seiner witzigen, trockenen Art und lockert so das Gespräch auf. Maron hat tausende Gäste aus allen Bereichen interviewt. Aber, und das ist entscheidend, der Podcast war und ist immer eine Anlaufstelle für alle Arten Komiker. Marc Maron sagt selbst: Das ist der Ort, wo über Comedy diskutiert wird.

Beste Folge: mit Jerry Seinfeld vom 08.06.20 / #1129

Die Folge beginnt traurig. Zwischendrin steigt die Spannung, vor allem weil Maron und Seinfeld jahrelang ein angespanntes Verhältnis pflegten und oft unterschiedlicher Meinung sind. Aber stets fliegen die Witze durch die Luft und die Zuhörer٭innen kommen nicht umhin beim Gelächter mit einzusteigen.

Jerry Seinfeld: „Haben wir uns schon mal getroffen?“
Marc Maron: „Ich glaube, ich hatte was Chaotisches, von dem du dich fern halten wolltest.“
Jerry Seinfeld: „Das stimmt vielleicht.“

2. The Daily Show with Trevor Noah: Ears Edition

Kann politische Satire witzig sein? Klar, wenn Trevor Noah verantwortlich ist und vorträgt. Trevor Noah ist der Moderator und Chef der Daily Show, der wichtigsten Nachrichten-Satireshow in den USA, und dem Vorbild für deutsche Formate wie Extra 3 und heute Show. Die Daily Show ist normalerweise ein TV-Format, aber es gibt eine wunderbare Adaption im Podcast-Form mit exklusiven Inhalten. Dass die Daily Show so unterhaltsam ist, liegt auch an Noahs Arbeitskollegen, die mit ihren Auftritten brillieren, allen voran Ronny Chieng, Roy Wood Jr. und Dulcé Sloan, alles erfahrene Komiker. Aber auch die Interviews, die Trevor Noah führt, glänzen durch Witz und Intelligenz. Hier zeigt sich seine jahrelange Stand-up-Erfahrung.

Beste Folge: mit Barack Obama vom 11.01.21

Barack Obama war zu Gast, um sein neues Buch vorzustellen und über seinen Alltag nach dem Ausscheiden aus dem Amt zu sprechen. Trevor Noah nutzte den Auftritt um die alles entscheidende Frage zu stellen: „Schickst du Angela Merkel Memes?“

3. Conan O’Brien needs a friend

© Gage Skidmore (Commons Wikimedia)

Der nächste Podcast mit einem Late-Night-Show-Hintergrund. Der nächste Podcast, bei dem der Titel nichts mit dem Inhalt zu tun hat. Der nächste Podcast mit einem Komiker. Es scheint hier ein Muster zu geben.

Conan blickt auf eine fast 35-jährige Karriere zurück. Er hat für die Simpsons geschrieben. Wenn er im Juni von seiner Show zurücktritt, dann stand er 28 Jahre lang vor der Kamera. Trotz der langen Zeit, in der Conan immer wieder Menschen für seine TV-Sendung interviewte, kam er zu dem Schluss, dass er keinen seiner Gäste richtig kennenlernen konnte, deswegen der Podcast mit circa einstündigen Interviews, deswegen der Name des Podcast „Conan O’Brien needs a friend“. „Die Leute wollen meine Stimme hören, ohne mein Gesicht zu sehen”, so sagt er selbst über seinen Podcast.

Doch Conan sucht nicht wirklich nach einem Freund, er schafft aber eine freundschaftliche Interview-Atmosphäre bei dem einmalig, lustige Gespräche entstehen, vor allem dann, wenn sich der Gast auf Conans Improvisations-Genie einlässt. Aber Conan profitiert auch von seinen Arbeitskollegen Sona Movsesian und Matt Gourley, die am Anfang und Ende einer jeden Folge zu Wort kommen. Die Dynamik der drei macht den Podcast so unterhaltsam.

Beste Folge: mit Will Arnett vom 16.03.20

Von den 121 bisher veröffentlichten Folgen ist bestimmt die Hälfte grandios und die andere Hälfte sehr unterhaltsam. Hervorzuheben sind die Folgen mit David Letterman, Will Ferrell, Keegan-Michael Key und Ali Wong. Doch die wahrscheinlich beste Folge ist die mit Will Arnett, nicht wegen Will Arnett, sondern wegen des Podcast-Quiz am Ende des Interviews, in dem Sona, Matt und Conan streiten, improvisieren und sich gegenseitig zum Lachen bringen.

Genauso verhält es sich mit der mit David-Spade-Folge vom 08.02.20. Das Quiz am Ende des Interviews ist absurd komisch und ultra lustig.

Einen Teaser gibt’s hier:

Quelle: YouTube

Markus Hanfler schreibt über Kultur, Sport und Sportkultur und alles, was dazwischen liegt. Als der Traumberuf Dinosaurier nicht funktionierte, studierte er Geschichte und Politik in Aachen und Berlin. Nach Stationen im Journalismus, zog ihn die dunkle Seite der Macht in den Bann und er arbeitet jetzt im Marketing. Schreiben will er aber trotzdem, deswegen ist er hier.

Titelbild: © Hayden Schiff (Commons Wikimedia)

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Wie ein Witzebuch, nur witzig: Seinfelds gesammelte Werke

Das Witzebuch aus den Kinderzimmern der 90er hat abgesehen von dem Buchformat nichts mit Jerry Seinfelds „Is this anything“ zu tun. Der größte Unterschied: Seinfelds Werk, das seine gesamten Witze beinhaltet, ist zum Lautlachen. Auch darüber hinaus gewährt das Buch einen einmaligen Einblick.

Ein Gastbeitrag von Markus Hanfler


„Weißt du, was ich mag?“, fragt J.B. Smooth. „Wenn die Leute über die Prämisse lachen, bevor du überhaupt zur Pointe gekommen bist“.

Und Jerry Seinfeld erwidert in der berühmten Netflix-Serie Comedians in Cars getting Coffee: „Das ist das Beste.“, und erzählt von einem Witz mit folgender Prämisse: „Die Stäbchen zeigen, die Chinesen haben Durchhaltevermögen.“ In Seinfelds Buch steht die Pointe dazu: „Natürlich kennen die Chinesen die Gabel … Aber sie sagen: ‚Ja, sehr schön. Aber wir bleiben bei den Stäbchen.‘“

Das Wundervolle an diesem Witzebuch ist die verdichtete Chronologie. Jerry Seinfeld ist bekannt für seinen „Act“, für seine Bühnenperformance, für seine Mimik und Gestik. Aber die 480 gefüllten Seiten an einem Ort, ohne ablenkende Bewegtbilder, geben den Leser٭innen die Möglichkeit sich mit der Essenz und der Struktur eines Witzes zu beschäftigen. Nach 413 Witzen wird deutlich, wie die Prämisse aufgebaut ist, wann sie endet und dass sie oft etwas Absurdes, Gegensätzliches zur Pointe verarbeitet. Auch Seinfelds Entwicklung wird mit dem Buch erfahrbar. Am Anfang, in den 80ern, sind es mehr Wortwitze, am Ende in den 2010ern sind es vermehrt Geschichten. Die Chronologie ist das Einmalige an dem Buch. Das kann ein zweistündiges Stand-up-Programm nicht leisten.

Aber die Wissenschaft des Witzes muss nicht trocken und beschwerlich sein. Das Buch kann auch am Stück durchgelesen werden, so kurzweilig ist es dann auch. Bisher wurde „Is This Anything“ nicht übersetzt und ist nur auf Englisch erhältlich. Am besten sollte es auch dabei bleiben. Was bei dem Witz mit den Stäbchen am Anfang gerade so ging, ist bei vielen anderen Wortwitzen nicht möglich. Das Buch lässt sich auch ohne Englisch-Studium sehr gut lesen.

Es ist aber auch nicht viel mehr als das beste Witzebuch aller Zeiten. Seinfeld gibt eine knappe Einordnung in die Jahrzehnte seines Schaffens, mehr leider nicht. Es ist keine Biografie. Es sind Witze, auch wenn immer wieder biografische Züge durchscheinen. Diesen einmaligen Einblick gewährt Seinfeld. Am Anfang seines Schaffens stehen Reisen, Autos und die eigene Kindheit im Vordergrund. In der Gegenwart geht es um das Verheiratetsein und die eigenen Kinder. Was bleibt, sind Seinfelds Beobachtungsgabe und sein Faible für das Absurde im Alltag. Sein Genie spielt er in pointierten Prämissen aus, die sein Publikum direkt zum Lachen bringen. Es müssen nicht immer Stäbchen sein. Schlüssel gehen auch:

„Neulich saß ich im Flugzeug und dachte: ‚Ich frage mich, ob es Schlüssel für das Flugzeug gibt. Benötigt man Schlüssel, um das Flugzeug zu starten?‘ …“ Die Pointe gibt es dann im Buch.

Ein Trailer zum Buch:

Quelle: YouTube

„Is This Anything“ von Jerry Seinfeld erschien bei Simon & Schuster und hat 470 Seiten.


Markus Hanfler schreibt über Kultur, Sport und Sportkultur und alles, was dazwischen liegt. Als der Traumberuf Dinosaurier nicht funktionierte, studierte er Geschichte und Politik in Aachen und Berlin. Nach Stationen im Journalismus, zog ihn die dunkle Seite der Macht in den Bann und er arbeitet jetzt im Marketing. Schreiben will er aber trotzdem, deswegen ist er hier.

Titelbild: Jerry Seinfeld 1992, © Alan Light (FlickR/Wikimedia Commons)

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Was nehmen wir mit von 2020? Eine postmondäne Leseliste

Auch wir konnten 2021 kaum erwarten. Trotzdem möchten wir noch einen vorsichtigen Blick zurück auf 2020 wagen und haben uns gefragt, welche Bücher uns in jenem merkwürdigen Jahr beschäftigt haben. Insgesamt fällt die Liste – mit Ausnahmen – etwas weniger bedrückend aus als in den letzten Jahren (also 2016, 2017, 2018 und 2019) und während des Lockdowns (Teil eins und zwei). Dabei lassen die Themen das gar nicht vermuten. Immerhin behandeln die Bücher den Untergang Roms, eine Höllenreise, Einsamkeit, den Brexit, unsichtbare Fäden (gleich zweimal), Eingesperrtsein, Unterdrückung und – das darf nicht fehlen – Endzeit. Also los, ein letzter Blick zurück.


von Dominik Gerwens, Stefan Weigand, Katharina van Dülmen, Franziska Friemann, Florian Birnmeyer, Lukas Lehning und Gregor van Dülmen

 

210 problems, but the plague ain’t one

Dominik über Fatum von Kyle Harper

Ist die Rolle von Pandemien beim Untergang des Römischen Reichs bislang vernachlässigt worden?

Das zurückliegende Jahr möchten die allermeisten von uns wohl am ehesten mit einem gehörigen Tritt in den Allerwertesten verabschieden. Und mag sich der Mensch auch vor dem Hintergrund von aktuellen Krisen auch gerne in der Geschichte spiegeln, so braucht wohl wirklich niemand noch den gefühlt 100-sten Artikel, der eine Analogie zwischen Coronazeiten und der Spanischen Grippe herstellt. Warum also trotzdem ein Buch zur Seuchengeschichte auf diese Leseliste setzen?

Zum einen sind groß angelegte Geschichtsstudien gerade angesagt. Das zeigt nicht zuletzt die jüngste Graphic Novel-Adaption zu Yuval Hararis „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Zum anderen ist Kyle Harper mit seiner Darstellung der seuchen- und klimageschichtlichen Gründe, die das Römische Reich auch zum Einsturz brachten, ein großer Wurf und zugleich spannend erzählter Geschichtsthriller gelungen.

Zwar ist das Imperium Romanum bestimmt nicht allein durch Klimaveränderungen und Pandemien in den Untergang gerissen worden – Althistoriker Alexander Demandt hat einmal 210 mögliche Gründe aufgelistet –, die Rolle von Umweltfaktoren indes ist bislang nie so umfassend ausgeleuchtet worden wie bei Harper, der seine Klimathese anschaulich vorträgt und umfangreich belegt, welchen Einfluss das Klima auf Aufstieg und wirtschaftliche Prosperität des Weltreiches hatten. Brillant aber ist insbesondere die Darstellung der Seuchengeschichte des Römischen Reichs, die etwa am Beispiel der Justinianischen Pest den engen Zusammenhang zwischen gefährlichen Krankheitserregern, überregionalen Handelswegen und Urbanisierung ausleuchtet. Hier liegt der große Wert des Buches, das die Leser*innen mit der Erkenntnis zurücklässt, dass COVID-19 bei Weitem nicht die erste Erkrankung ist, die Zivilisationen in ihren Grundfesten erschüttert. Auch fragt man sich, ob es weiterhin sinnvoll ist, von „Naturkatastrophen“ in Bezug auf die großen Menschheitspandemien zu sprechen, an deren Entstehung und Verbreitung die Menschheit anscheinend immer maßgeblich beteiligt gewesen ist.

„Eine schon frühzeitig globale Welt, in der die Rache der Natur spürbar zu werden beginnt, auch wenn man glaubt, die Kontrolle zu besitzen … Das kommt einem vielleicht gar nicht so fremd vor“, resümiert Harper in seinem Epilog und es schaudert einen beinah aufgrund des prophetischen Gehalts dieses im Original bereits 2017 erschienenen Buches.

Fatum von Kyle Harper erschien 2020 im Verlag C.H. Beck.


Wenn Gletscher weinen

Stefan über Der Anhalter von Gerwin van der Werf

Vielleicht ist es ja so, dass die Gletscher gar nicht tauen – sondern weinen. Träne für Träne tropft vor sich hin, aus Mitgefühl oder – noch schlimmer– aus Mitleid. Genau das möchte man der Hauptfigur in »Der Anhalter« von Gerwin van der Werf wünschen. Tiddo, ein Mann in der Mitte seines Lebens bricht mit seiner Familie nach Island auf. Im Gepäck hat er mehr Midlife-Crisis und Beziehungsprobleme, als ihm lieb sind. Eine „Traumreise“, so das Vorhaben. Beeindruckende Weiten genießen, mit dem Wohnmobil die Landschaft durchpflügen und die Stille der Insel aufsaugen. Doch noch bevor er sich mit seiner Frau und dem Sohn darauf einlassen kann, ist der Traum schon zerplatzt: Der junge Isländer Svein, den sie als unscheinbaren Anhalter aufgabeln, nistet sich ein – und geht nicht mehr. Auf einmal reduziert sich die Weite der Landschaft auf Kammerspielgröße. Der Roadtrip wird zur Höllenreise, die Tektonik der Beziehungen sorgt für Beben. Heimlich, still und heftig.

Der Anhalter erschien 2020 bei S. Fischer.

© Stefan Weigand

Katharina über Irgendwann wird es gut von Joey Goebel

Anthony liebt die schöne Nachrichtensprecherin Olivia mit dem geheimnisvollen Mund. Er spricht mit ihr – jeden Abend, während sie auf Channel Seven das Tagesgeschehen zusammenfasst. Und er schreibt ihr Briefe. Viele Briefe. Aber nun ist er wild entschlossen, sie persönlich kennenzulernen.

Carly hat ein Ritual. Sie legt ihre Stirn gegen die Toilettentür und sagt: „Dir geht’s jetzt gut. Dir geht’s jetzt gut.“ Und nachmittags im Trödelmarkt ihrer Eltern geht es ihr auch meistens gut. Zwischen den älteren Dingen und älteren Menschen. Hier kann sie Gedanken und Zwischenfälle „ordnen“, „verschließen“, „beiseiteräumen“. All das Getuschel und die blöden Bemerkungen in der Schule. Hier gelingt ihr ein Neustart in den Tag – meistens.

Winston hingegen hat bereits vor drei Jahren „der Welt den Rücken gekehrt“. Seitdem verlässt er sein zugemülltes Haus nicht mehr. Warum auch? Anders als andere Menschen hat er schließlich keine Angst vorm Alleinsein. Doch dann passiert das Unmögliche: Er verliebt sich in die traurige Frau, die jeden Tag an seinem Fenster vorbeigeht.

Und es geschieht noch etwas, was wahrscheinlich niemand für möglich gehalten hätte: Eine Frau – Ende 20, erfolgreich, schön, von vielen Menschen verehrt – versucht, sich das Leben zu nehmen.

Anthony, Carly und Winston haben einiges gemeinsam: Sie alle leben in der trostlosen Kleinstadt Moberly, Kentucky. Sie alle sind auf ihre Art verloren. Und sie alle sind Protagonisten*innen in Joey Goebels neuestem Buch. Nach vier erfolgreichen Romanen (Freaks, Vincent, Heartland, Ich gegen Osborne) widmet er ihnen und weiteren Figuren Geschichten in seinem ersten Erzählband Irgendwann wird es gut. Der Band beinhaltet zehn Kurzgeschichten, die zwar unabhängig voneinander stehen, aber bei genauem Lesen ineinander verwoben sind. Zärtlich erzählt, tief gezeichnet, berührend beschrieben, aber aber auch witzig beobachtet. Doch niemals macht sich der Autor lustig über seine Figuren. Denn er möchte eines klarstellen: Sie alle haben ihre Marotten (Wer nicht?). Aber auch ihre Geschichte. Und sie alle haben das Recht auf ein bisschen mehr Glück und ein bisschen weniger Einsamkeit. Und dafür kämpfen sie – voller Hoffnung. Denn dann wird irgendwann alles gut, oder?

Irgendwann wird es gut erschien 2019 bei Diogenes.


Franziska über Middle England von Jonathan Coe

Mit dem Ende des Jahres 2020 endet auch die Übergangsphase des Brexits. Brexit, dieser damals noch so unscheinbar wirkende Begriff, der es geschafft hat seit 2016 die britische Bevölkerung zu spalten. Seit dem „Nein zur EU“ fragt man sich: Wie konnte es dazu kommen?

Jonathan Coe wagt sich mit seinem Roman Middle England, der oft recht unattraktiv als Brexit-Roman beschrieben wird, an eine große Brexit-Bestandsaufnahme und Ursachenanalyse. Schauplatz sind die West Midlands und Protagonist der (noch unveröffentlichte) Schriftsteller Benjamin Trotter, den man bereits aus vorherigen Romanen Coes kennt. Anhand des Trotter-Clans, inklusive Netz aus Bekannten und Freund*innen, lässt Coe entscheidende Ereignisse des letzten Jahrzehnts und deren unterschiedliche Wirkung auf die Familienmitglieder Revue passieren. Angefangen bei der Finanzkrise, über die Koalitionsbildung zwischen den Torries und den Lib Dems, die medial besprochen wurde, als wäre sie ein Fehler in der Matrix, den Olympischen Spielen in London mit Danny Boyles patriotisch-aufgeladener Eröffnungszeremonie, der Leave- und Remain-Kampagnen bis hin zum EU-Referendum selbst.

Mit Middle England gelingt Coe auf ziemlich lustige und unterhaltsame Weise, den Gemütszustand oder eher die Gemütszustände einer gespaltenen Nation sehr treffend zu beschreiben, ohne für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen.

Middle England erschien 2020 im Folio Verlag.


Franziska über Herzfaden von Thomas Hettche

Ob mit Geschichten von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer, dem kleinen König Kalle Wirsch, oder Urmel aus dem Eis – die Augsburger Puppenkiste hat Generationen von Kindern geprägt. Thomas Hettche erzählt in seinem Roman Herzfaden die Geschichte dieses weltberühmten Marionettentheaters und ihrer Gründerfamilie Oehmichen. Eine berührende und bewegende Geschichte, die nicht zu trennen ist von den Schrecken des Nationalsozialismus, ideologischer Indoktrination und dem Wiederaufbau des zerstörten Deutschlands.

Herzerwärmend, ohne in Kitsch abzurutschen und rührend, ohne rührselig zu sein, beschreibt Hettche den unbändigen Willen der Familie Oehmichen, und besonders der Tochter Hannelore, genannt Hatü, einen Raum für Kunst und Theater im Nachkriegsdeutschland zu schaffen und diesen mit ihren Marionetten zu beleben. Mit Herzfaden hat Thomas Hettche ein modernes Märchen erschaffen, das die Wirkung und Kraft des Theaters durch das Schaffen gemeinschaftlicher Erlebnisse eindrücklich beschreibt. Insbesondere in diesem Jahr, in dem der öffentliche Kulturbetrieb fast vollständig zum Erliegen gekommen ist, scheint es besonders wichtig, eine solche Botschaft zu unterstreichen.


Florian, ebenfalls über Herzfaden von Thomas Hettche

Der Roman „Herzfaden“ lebt zu einem guten Teil von den Kindheitserinnerungen an die Augsburger Puppenkiste, die bei der Lektüre wieder lebendig werden. Denn in einer der beiden Zeitebenen des Romans werden die Marionetten der Puppenkiste unter der Ägide der Mitgründerin Hannelore Öhmichen, genannt Hatü, lebendig. Ein kleines Mädchen ohne Namen findet nach einer Theatervorstellung zufällig seinen Weg auf einen verzauberten Dachboden, wo es ein kleines Abenteuer mit Puppen wie dem kleinen Prinzen, dem Urmel, Jim Knopf, König Kallewirsch und einem böse dreinschauenden Kasperl erlebt.

Hatü erzählt ihr außerdem die Geschichte von der Entstehung der Augsburger Puppenkiste, die sich von der Zeit des beginnenden Nationalsozialismus über den Zweiten Weltkrieg bis in die beginnenden 50er Jahre spannt. Während die eine Ebene der Geschichte märchenhaft-verträumt anmutet, werden in der anderen Ebene auch die ernsten Seiten wie Holocaust, Judenverfolgung und der Krieg sowie die Wirren der Nachkriegszeit nicht ausgespart. Der Nationalsozialismus sowie der Krieg mit all seinen grausamen Konsequenzen für das Leben der Menschen sind in diesem Roman sehr präsent.

Doch zum Glück gibt es auch immer wieder poetische und lyrische Momente, wenn etwa die Marionetten zum Einsatz kommen. Der Zauber der Augsburger Puppenkiste überträgt sich bei der Lektüre auf die Leserinnern und Leser. Die Abschnitte des Romans, die Vorführungen der Augsburger Puppenkiste in wörtlichen Zitaten wiedergeben, sind für mich die stärksten Teile des Textes.

Wie in Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ sind die beiden Zeitebenen in zwei unterschiedlichen Farben, in blauen und roten Lettern, gehalten. Hettche hat ein vielschichtiges Werk mit mehreren Ebenen geschrieben, welches ein breites Publikum anspricht. Jugendliche und Erwachsene mit Interesse an der Geschichte der Augsburger Puppenkiste können gleichermaßen zu „Herzfaden“ greifen.

Herzfaden. Roman der Augsburger Puppenkiste erschien 2020 bei Kiepenheuer & Witsch.


Vom Gefängniswärter zum Verbrecher

Lukas über Kieleck von Maximilian Pollux

Kieleck, Herrscher und Beherrschter hinter Mauern aus Stahl und Eisen. Die Geschichte einer tragischen Existenz als Gefängniswärter, der zum Verbrecher wird.

Wer Demütigung erfährt, wird sie weitergeben. Dies scheint so sicher, wie die Mauern eines Gefängnisses. Und genau dort spielt der erste Roman von Maximilian Pollux. Mit „Kieleck“ beschreibt Pollux die tragische Figur eines Gefängniswärters, der bereits vor seiner Karriere als Schließer genug Demütigungen erfahren musste, um sie an ein ganzes Gefängnis weitergeben zu können. Pollux nimmt uns mit in eine Welt, in der Menschen einander misstrauen, in der sie einander erniedrigen und in der sie hiervon interessanterweise kaum einen Vorteil zu haben scheinen. Denn in dieser Welt sind alle Gefangene, die Wärter wie die Insassen der JVA. Kieleck wäre in dieser Welt gerne der Herrscher, ja sogar der Held, doch in Wirklichkeit ist er nicht mehr als ein psychisch instabiler Mann, der sich – während er die Post der Gefangenen kontrolliert – in die Ehefrau, oder besser gesagt in die Briefe von ihr, verliebt. Während er von einer Zukunft mit dieser Frau phantasiert, nimmt die Realität ihren Lauf. Im Versuch diese zu verändern, verliert Kieleck endgültig die Kontrolle über seine Handlungen und schließlich auch über seinen Körper.

In seinem fast vierhundert Seiten starken Roman verarbeitet Maximilian Pollux eigene Erfahrungen aus über zehn Jahren im Gefängnis. Dabei gelingt es ihm, eine Sprache zu finden, die rau und schonungslos beschreibt, ohne sich am Beschriebenen zu ergötzen. Mit Kieleck schafft Pollux einen Nicht-Helden, der in einer Welt lebt, die ferner von der draußen kaum sein könnte, und dennoch eng mit dieser verwoben ist. Hierbei gleitet Pollux weder in Gangster-Romantik noch in Green-Mile-Horror ab, sondern schreibt fast analytisch, wie in einer Welt aus steilen Hierarchien, verraten, betrogen und gedemütigt wird. Scheinbar immer für einen kleinen eigenen Vorteil, doch immer um den Preis der Menschlichkeit. Ein Buch, das einen wirklich gefangen nimmt und ein Autor, der sich traut, eine Hauptfigur zu zeigen, mit der es schwerfällt, Mitleid zu haben.

Kieleck erschien 2020 im Rhein Mosel Verlag.


 

Lee Miller und Man Ray – viel mehr als eine Liebesgeschichte

Lukas über Die Zeit des Lichts von Whitney Scharer

Lee Miller, die bedeutendste Fotografin des 20. Jahrhunderts, musste erst erst an ihrer Kunst zerbrechen, um als Künstlerin anerkannt zu werden, und ist dennoch nie ganz aus Man Rays Schatten getreten.

Derzeit scheinen die Zwanziger- und Dreißigerjahre voll im Trend zu sein, ob in erfolgreichen Serien wie Babylon Berlin oder in so manchem Vintage-Laden. Doch woher kommt diese seltsame Faszination für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, woher die Begeisterung für die Musik, den Stil und, ja, die Fotografie dieser Zeit.

Der Roman „Die Zeit des Lichts“ von Whitney Scharer bringt hier ein wenig Licht ins Dunkel. Beginnend mit der Liebesgeschichte zwischen der Fotografin Lee Miller und dem Fotografen Man Ray im Paris der Zwanzigerjahre beschreibt sie den Werdegang einer der größten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts: Lee Miller.

Und so schreibt Scharer hier weniger einen Liebesroman als eine kluge Analyse darüber, wie sich eine junge Frau aus dem Beruf des Models auf den Platz hinter der Kamera durchkämpft. Doch dies ist nicht der einzige Kampf, den sie zu führen hat. Neben dem immer wieder emporbrodelnden Machotum, dem sie mal erfolgreicher und mal weniger erfolgreich entgegenzutreten weiß, kämpft sie auch gegen Dämonen aus ihrer Vergangenheit, bis sie dann schließlich wirklich in den Krieg zieht. Als erste Kriegsfotografin dokumentiert sie die Gräueltaten der Nationalsozialisten für die amerikanische Zeitschrift Vogue. Es sind folgenreiche Fotos, sowohl für die Fotografin als auch für die Betrachter*innen. Auf der einen Seite gelingt es ihr, das Grauen für die Daheimgebliebenen greifbar zu machen, auf der anderen Seite kann sie diese Brutalität immer weniger begreifen, bis sie schließlich, dem Alkohol verfallen, an ihr zerbricht.

Wenn man diesen Roman gelesen hat, hat man jedoch weit mehr als Einblicke in das Leben einer Fotografin erhalten, die erst an ihrer Kunst zerbrechen musste, um als Künstlerin anerkannt zu werden – man hat ein Stück der Faszination für diese Zeit erfahren. Eine Zeit, in der Rollenbilder aufgebrochen wurden und künstlerisch und gesellschaftlich experimentiert wurden. Und am Ende bleibt die Frage, wie diese Keimlinge eines freieren Lebens gewachsen wären, wenn sie nicht vom Zweiten Weltkrieg niedergewalzt worden wären.

Die Zeit des Lichts erschien 2019 bei Klett Cotta.


Ein vertrauter Schleier

Gregor über Auwald von Jana Volkmann

Ein besonders stilvoller Weg, um von Wien nach Bratislava zu gelangen, führt mit einer Donau-Fähre entlang des Auwalds. Auch Judith hält eine solche Fahrt für eine gute Idee. Ihr Chef hat sie dazu gezwungen, Urlaub zu nehmen, also kann sie ja auch etwas unternehmen.

Die Ausgangssituation aus Jana Volkmanns nach jenem Ufer-Waldstück benannten Roman ist beschreibend für das Leben ihrer Protagonistin: Ihren Beruf als Tischlerin übt sie akribisch aus, möchte sich am liebsten nie von ihm trennen, insgesamt strudelt sie aber eher passiv durchs Leben und hat sich mit dessen Sinnlosigkeit weitgehend abgefunden. „Holzarten erkennt sie am Geruch“, heißt es bereits auf dem Klappentext, „Menschen hingegen sind ihr ein Rätsel“. Judith ist eine einsame Seele mit zwanghaftem Charakter in einer überfordernden Umwelt, die weder viel Verständnis für sie hat noch starkes Interesse an ihr aufweist. Damit bringt sie eigentlich die besten Voraussetzungen als Protagonistin eines intimen Endzeitromans mit.

Während Judith anfangs von außen betrachtet wird, führt die Perspektive von Kapitel zu Kapitel immer tiefer in ihr Seelenleben und Handeln hinein, so weit, dass die Außenwelt zu einem schleierhaften Apparat verschwimmt, von dem sich nicht mehr genau sagen lässt, was eigentlich wirklich passiert, und in dem auch ein Wald sich wie eine Nebenfigur anfühlt. Ein Wendepunkt der Handlung ist das spurlose Verschwinden der Fähre auf ihrem Rückweg von Bratislava nach Wien, eine Katastrophe, die die gesamte Region in eine Endzeitstimmung stürzt. Da sie um Geld, Handy und eben auch ihr Fährticket bestohlen wurde, ist Judith nicht mit an Bord und wird von der plötzlichen Chance überrumpelt, unterzutauchen und ganz von vorn zu starten. Es beginnt eine Art Roadtrip, wenn auch zu Fuß und abseits von Straßen, auf dem sie nicht nur der Natur und sich selbst begegnet. Auch ihr Bestreben, herauszufinden, wie sich ein neues Leben in völlig anderer Umgebung anfühlt, wird von Erfolg gekrönt, in all dem Chaos trifft sie Komplizen.

Insgesamt präsentiert Jana Volkmann uns ein seltsames, aber einnehmendes Buch, das zwischen Verfassen und Erscheinen von einer endzeitlichen Lebensrealität überholt wurde. Der bedrohlichen Stimmung, der milchigen Schwere, dem inneren Zwang, sich neu zu sortieren, geht sie in Auwald, wie man mit der Erfahrung von 2020 definitiv sagen kann, meisterhaft auf den Grund.

Auwald erschien 2020 im Verbrecher Verlag.

Titelbild: Cover „Fatum“ © Verlag C.H. Beck, Cover „Der Anhalter“ © S. Fischer, Cover „Irgendwann wird es gut“ © Diogenes Verlag, Cover „Middle England“ © Folio Verlag, Cover „Herzfaden“ © Verlag Kiepenheuer & Witsch, Cover „Kieleck“ © Rhein Mosel Verlag, Cover „Die Zeit des Lichts“ © Klett Cotta, Cover „Auwald“ © Verbrecher Verlag

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Über hundert Independent-Filme gratis im Stream

Vom 16. bis 18. Oktober schon etwas vor? Wenn ja: am besten absagen, denn das Free Independent Film Weekend hält genau, was der Name verspricht.


Bei postmondän werden ja selten Ankündigungen geteilt, aber wir sind froh, diese hier verbreiten zu dürfen: Vom 16. bis 18. Oktober sind beim Free Independent Film Weekend 110 Independent-Filme per Stream zu sehen, die sonst nur schwer zu finden sind. Filme aller Genres, aus 34 Produktionsländern, kostenfrei, ohne Registrierung.

Das komplett umkommerzielle Festival, das bereits zum zweiten Mal stattfindet, wurde ins Leben gerufen, um Independent-Filme einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Viele der teilnehmenden Filme sind außerhalb des Zeitraums nur auf kleinen lokalen Festivals oder Filmbörsen zu finden und werden in dem Zeitraum einmalig weltweit zugänglich gemacht.

Die Plattform des Festivals ist ihre Facebook-Seite. Hier sind zur Übersicht in durchnummerierten Postings alle Filme von 110 bis zurück zur 1 mit Informationen zu finden. Im Festival-Zeitraum wird jeder Post um einen Link ergänzt, über den der Film direkt anzusehen ist. Das Festival ist interaktiv und wir haben uns durch Mitorganisator Thomas Goersch dort auch ein bisschen hineinziehen lassen: Wer Kontakt mit den teilnehmenden Regisseur*innen aufbauen möchte, kann das einfach hier in den Kommentaren schreiben.

Wer einfach nur Filme anschauen möchte, findet diese hier.

 

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Filmemacherin und Enfant Terrible Malga Kubiak im Interview

Malga Kubiak ist ein Gesamtkunstwerk. Filmregisseurin, 70 Jahre alt, Schauspielerin. Aus Polen stammend, schwedische und polnische Staatsbürgerschaft, Weltenbürgerin. Enfant terrible, Aktivistin, Kämpferin für LGBT und Sexualität. In keiner Art und Weise irgendwie einzuordnen. Für viele Menschen nicht zu verstehen und von Künstler*innen und der Bohéme vergöttert. Ihre Filme werden nicht im großen Sinne vertrieben, sondern einem handverlesenem Publikum auf Festivals gezeigt und manchmal macht der polnische Staat gegen die Filme Front.

Ein Gastinterview von Thomas Goersch


Malga, du bist in erster Linie Filmregisseurin?

Ich war noch nie im traditionellen Film Sinne an einem Set. Natürlich habe ich Filme gesehen, verschiedene Filme, natürlich liebe ich Regisseure, wenn sie mich intellektuell entwickeln. Die traditionellen Filme langweilen mich, ich schaue diese einfach nicht an. Für meine eigenen Filme habe ich kein Budget, daher muss ich für alles etwas Besonderes machen, ich muss den Film auch produzieren. Meine Arbeit entwickelt sich immer noch: Meine Kameras werden immer besser, ich hatte früher Skripte, meine Skripte waren für die literarischen Dialoge und selten auch für Aktionen. Ich plante natürlich Maßnahmen wie: Sex, Essen, Tod, Selbstmord, Gewalt, Tanz. Aber es waren auch keine klassischen Drehbücher. Ich kaufe so viele Kostüme für die Filme, ich sammle Kostüme und Requisiten, deshalb ist mein Haus voll.

Und manchmal reise ich mit all den Kostümen durch die Welt wie zum Beispiel nach Marokko für den Film „PPPasolini“. Wir haben dort einen fantastischen Film gedreht, es ist sehr traurig, dass ich gute Filme drehe, aber nicht so talentiert bin beim Vertrieb der Filme. Wir hatten eine große Premiere, aber Vimeo erlaubte den Film nur mit gesperrtem Passwort aufgrund von Szenen, die Vimeo nicht zulässt. Einmal hatte ich „fast“ eine Option für NETFLIX,  die sich für „PPPasolini“ interessierten. Die wollten aber eine normiertes Drehbuch haben, das ich nicht liefern konnte, und da ging mir einfach die Luft aus.

Deine Filme sind provokant: Sexuell und politisch auch angreifend. Wie kommst Du damit in Polen zu recht?

Ich bin ein totaler Außenseiter, ich weiß nichts über das polnische Filmgeschäft, ich schaue sehr selten polnische Kinematografie, ich mag diese nicht so sehr. Aus verschiedenen Gründen. Meine Filme sind schwedische Filme (ich habe die doppelte Staatsangehörigkeit). Meine Produktion ohne Budget liegt in Schweden. Ich hoffe, schwedische Filme würden mich besser schützen, wenn Polen als Staat versuchen würde, mich zu verfolgen. Natürlich habe ich traurige Erfahrungen. Als ich einmal „Federico Garcia Lorca Noir Despair“ auf einem großen Filmfestival in Polen gezeigt habe, haben sie mich wegen ‚schwuler Pornografie‘ angeklagt.

Meine Familiengeschichte gibt mir hier etwas Schutz: Mein Vater Tadeusz Kubiak (1924-1979) war ein bekannter polnischer Dichter, er hatte großen Einfluss auf mich. Meine Mutter war die Theaterbühnen- und Kostümdesignerin Danuta Kubiak (1926-2012), auch nicht ohne Einfluss. Ich habe meine Kindheit und frühe Jugend während der Produktionen an Oper und Theater verbracht und diese von Grund auf bis zur Premiere gesehen. Ich habe meine Schule gehabt.

Der Damiecki-Schauspieler-Clan ist auch meine Familie, der seit den 1930er Jahren bis heute bekannt ist. Dobieslaw Damiecki (1899-1951) war mein Großvater väterlicherseits. In Polen bedeutet familiäre Herkunft sehr viel. Ich hoffe, meine doppelte Staatsangehörigkeit hilft mir auch.

Wiktor Morka, der Chef des LGBT-Filmfests Polen, musste mich nach 2015 von den Vorführungen außerhalb der Hauptstadt entfernen – nachdem ich „PPPasolini“ in anderen Städten gescreent hatte. Ich kann nicht einmal erklären, warum genau er Probleme mit meinen Filmen bekam, die die Sexualität meiner Protagonisten erforschen. Ja, die Sexszenen in meinen Filmen sind ziemlich wild, ich mag sie so. Ich habe eine schlechte Meinung vom Pornografen (ich bin nicht derjenige), aber keine rechtlichen Probleme. Aber natürlich halten sie mich vom Fernsehen oder von einem großen Publikum fern.

Auch im westlichen Ausland werde ich nicht immer akzeptiert. Ich kann dir nicht sagen, warum die Berlinale mich nicht akzeptiert hat. Sie haben mich nie akzeptiert, nur einmal führte mich Berlinale im Forum des Festivals vor, meine „Ego Trip Collection“, die über Negative Land und andere Videotheken in Berlin verliehen und verkauft wurde. Ich weiß nicht, wie mich die Berlinale gefunden hat, da ich mich nicht beworben habe, fragten sie mich. Ich wollte persönlich mitmachen, kam aber nie an. Ich war so glücklich und aufgeregt, bekam Reisegeld vom schwedischen SFI-Filminstitut, als ich die Institution anrief, es ging alles sehr schnell, ich ging mit meinem Mann aus und wir waren völlig betrunken … Es war einer dieser billigen Flüge, ich hatte dann noch vor, mit dem Zug zu fahren, und ich habe es da total versaut.

Du hast auch in Deutschland gearbeitet, an den Underground-Filmen Carl Andersens. Wie war diese Zeit?

Es war ungefähr 1992. Ich kann mich nicht erinnern. Die Zusammenarbeit mit Carl Andersen war fantastisch! Er fand mich durch meine „The Ego Trip Collection“ im Negativeland (Videogeschäft in Berlin), wo er arbeitete, und er bat mich, in seinem Film mitzuwirken. Ich stimmte direkt zu und reiste nach Berlin, um ihn zu treffen, danach spielte ich in fünf seiner Filme mit. Unsere Zusammenarbeit war überragend, ich bekam einen Schlüssel zu seiner Wohnung und das kleinste Zimmer gehörte mir. Ich konnte ankommen, wann immer ich wollte. Als meine Mutter alt wurde und an den Rollstuhl gefesselt war, musste ich aufhören, nach Berlin zu reisen und meine Filmarbeiten auf Warschau und Stockholm beschränken.

Meine Mutter war sechs Jahre in diesen Zustand, bis sie starb. Ein halbes Jahr später starb Carl. Ich habe auch in Carls Theaterstück mitgespielt und es war großartig, wir haben 17 Vorstellungen im BrotFabrik-Theater gegeben. Ich habe Carl nach Warschau eingeladen, aber er hatte Agoraphobie und verließ Berlin nie, er verließ den Prenzlauer Berg auch nicht gern, nur als wir zum Haus seines Freundes zum Filmen an den See fuhren. Bevor ich Carl kennengelernt habe, habe ich über ein Jahr in der französischen Theatergruppe Respublica gespielt. Wir waren in Brüssel ansässig. In den 80er Jahren hatte ich auch eine Performance-Gruppe meines eigenen DS Art Ensembles in Göteborg, Schweden.

Du arbeitest so viel. Woher bekommst du den Antrieb?

Meine Libido ist meine gegnerische Kraft – sie ist die führende Kraft in meinem Leben. Alles, was in meinen Filmen passiert, wird durch sie beeinflusst. Zum Zeitpunkt meiner Geburt gab ich meine Karriere zum ersten Mal auf (die Hebamme schob mich aus dem Mutterleib und nannte mich eine Tänzerin, vielleicht eine Ballerina) und später bei der Geburt meiner Kinder. Ich gebar meine Tochter, als ich 18 Jahre alt war, ganz öffentlich im Universitätsklinikum, beobachtet von einer Gruppe von Mädchen. Damals wurde ich eine starke Frau.

Du bist dieses Jahr 70 Jahre alt geworden.

Oh, mein Alter. Ich habe immer noch nicht bemerkt, dass ich alt geworden bin. Ich habe nie in die Zukunft geschaut oder Pläne gemacht. Ich habe immer in der Gegenwart gelebt, mit diesem riesigen Gepäck der Vergangenheit, das Hunderte von Jahren zurückreicht. Heute habe ich in meinem Privatleben keinen Sex und die maximale Menge an Sex in meinem Arbeitsleben, das Maximum, das durch die Filmbeschränkungen und die Bereitschaft der Schauspieler und Schauspielerinnen – meiner Mitarbeiter – bestimmt wird. Natürlich hätte ich gerne mehr.

Ich fühle mich oft wie ein männliches Pronomen, besonders beim Schreiben. Zu der Zeit, als Sex meine Nummer eins war, fühlte ich mich wie ein Mann und ich fühlte mich wie eine Frau. Meine Mutter war eine Art Zwitter. Mein Vater war Dichter. „FGLND“ („Federico Garcia Lorca Noir Despair“) wurde Ende Oktober auf dem Pornofestival Berlin 2019 gezeigt. Der Film hatte seine Premiere auf der New Horizons IFF 2013 im Bereich Third Eye. Es gab viel Aufsehen, aber keine Belohnung und keine Bewertung, außer der von der Directors Guild of Poland, nach der ich „eine ekelhafte schwule Homosexualität“ manifestierte, genau wie Alain Guiraudie, der den FIPRESCI Award für „Stranger am See” während des gleichen New Horizons Festivals.

Es war eine großartige Auszeichnung für mich, meinen Film und mein Team. Nach dem FIPRESCI-Preis verschwand die Überprüfung durch die Directors Guild of Poland. Für mich war es jedoch ein Akt der Rebellion, ob Sie es glauben oder nicht. Der sprachliche Pluralismus ist mir wichtig; nicht alles kann auf Polnisch ausgedrückt werden. So ist mein Geisteszustand. Ich bin wahrscheinlich durch das Gepäck meiner Erziehung belastet. Mein Geist und mein Gehirn bestimmen meine Sexualität mit der Rückkopplungsschleife in Form von Lust, Anziehung, Verlangen und Emotionen. Mein Gehirn war schon immer meine Priorität; mein Intellekt, meine Libido.

Der Drang zu schaffen ist absolut, es gibt fast keine Angst. Gut, ich habe Angst, zum Zahnarzt zu gehen, vielleicht wegen der körperlichen Nähe. Ein Fremder, der in mein Inneres schaut, bohrt, gräbt, zieht und bohrt sich in meinem Kopf, so nah am Gehirn. Wenn ich gegenüber Zahnärzten die gleiche Einstellung hätte wie gegenüber dem sexuellen Akt, wären meine Zähne auf mir, aber es ist, was es ist, und es ist schlecht. Im Moment ist mein Sexualleben auch ganz unten. Ich liebe meine Schauspieler und Schauspielerinnen, die mich spielen. Der Drang zu schaffen ist absolut und er ist gewachsen.

Mein neuester Film von ist „EPOKALIPSA“ (2019). Er wurde nur auf dem LGBT-Filmfestival gezeigt, im April 2019 in Warschau. Ich hatte gehofft, es beim Pomada Queer Festival 2019 wieder zu zeigen, aber dieses Jahr wird es keine Pomada geben. So traurig.


Vom 16. bis 18. Oktober kann man Malga Kubiaks Filme „Federico Garcia Lorca Noir Despair“ über das Leben des Schriftstellers Lorca und „Sweet Secrets – Tribute to Carl Andersen“ beim Online-Festival „Free Independent Film Weekend“ kostenlos anschauen. Bei diesem Festival werden 110 Filme aus 34 Ländern gezeigt und Independent-Filme einem größeren Publikum zugänglich gemacht.


Thomas Goersch verkörperte weit über 200 Rollen in Kino-, Musikvideo- und Independent-Produktionen. Wegen seiner Vielschichtigkeit und seines Interesses an verschiedenen Genres engagierte man ihn wiederholt für ausländische Filmproduktionen, welche nicht selten einen stark künstlerischen oder experimentellen Ton aufweisen. Daneben ist er dem deutschsprachigen Fernsehzuschauer seit vielen Jahren als Moderator beim Verkaufssender 1-2-3.tv bekannt.

 

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The Dune

Eine Art Film-Review.

von Jens Marder


Dünebarkeit? Offenbar nicht, denn Frank Heiberts Wormbuilding-Klassiker ist primär ein Epos, zumindest der Seitenzahl nach zu urteilen (gelesen habe ich die Scanvorlage nicht). Daher scheint es wenig förderlich, ein derart umfangreiches, grandioses, geradezu monströses Larger-than-Narrativ auf einen dreiminütigen Flick reduzieren zu wollen. Natürlich ist es ein origineller Ansatz, doch ob der Werbefilmer Villeneuve damit die harte Fanbase mehr überzeugt als seinerzeit der berüchtigte Versuch (bzw. Irrtum) von Davin Lynch, bleibt abzuwarten (bzw. zu bezweifeln).

Vom starken Storytelling und anspruchsvollen Beziehungsgeflecht der Charaktere ist in Denis Villeneuves neuem Machwerk jedenfalls nicht viel übrig. Nach seinen ebenfalls recht kurz geratenen Thrillern The Prisoner und The Sicario dringt der zweifelsohne begabte Franzose nun ins Herz der Avantgarde vor. Hektische Schnitte und kryptische Dialoge aus dem Off machen das arg fragmentierte Dekonstruktierchen zu einem intensiven, zumal sehr dichten Gewöhnungsbedürfnis. Es gibt Gastauftritte von Dave Bautista und Jason Mamoa, die sich beide offenbar aufs -a versteift haben. Und dass Oscar Isaacs nicht von Science-Fiction lassen kann, wäre noch löblicher, wenn er nicht ständig etwas vergessen würde (vgl. Rasur).

Als Hauptdarsteller hat man einen naiven Hänfling gewinnen können, dessen kanadisch klingender Nachname einen wertvollen Hinweis liefert – doch worauf? Zu Fragezeichen aus Fleisch und Blut verkrüppelte Zuschauer auf der Suche nach zu verlierender Zeit finden lediglich drei Minuten Filmmaterial vor und drängen sogleich auf jede Menge Antworten, ohne vorher die Fragen formuliert zu haben: Warum besteht der crowdpleasende Twisthuberwurm am Schluss darauf, The Big Lebowski genannt zu werden? Wer sind die grazil an Nylonfäden heruntergelassenen Neonazis, die einen maximalinvasiven Eingriff in das Grundnahrungsmittel Augenbutter planen? Und wäre es nicht effizienter, den Film wenigstens etwas zu strecken, damit die recht aufwendigen KGB besser zur Geltung kommen? Fun Fact: Dass Haus Zimmer nach meisterlichen Osten zu Twistopher Nolans Incepticon und Intrastellar gen The Dune abgewandert ist, wird unzweifelhaft als einer der massivsten Ofenschüsse in die Film- und Kinogeschichte eingehen – denn Villeneuve hat nur Zeit für einen einzigen Song, und der ist weder von Zimmer noch von dieser Welt.

In der Kürze liegt die Würze und in der Düne liegt der Hüne: Wie eine ins Fischnetz gegangene Lochbox lenkt Uncanny Ville ganz Arrktis in groteske Vistas. Schräge Ufos werden von Ed Wood höchstpersönlich in der Trashschwebe gehalten, ambitionierte Hyperlibellen umschwirren das Sandzeitkontinuum und animatronische Sonnenstrahlen beschleunigen den Frementierungsprozess. Seit jeher auf künstliche Beatmung angewiesen, gehen die indigenen Blaualgen vor Tremorpauls Ruckelphantasmen in die (unmerklich, aber umso fester gezwickten) Knie. Fazit: Independence Day meets Langoliers mit PS5-Grafik und Drohblickverlängerung via Schwert.

1 von 5 Sternen

There is an English version of the review at 366 Weird Movies available, which Jens Marder published under his real name.

Titelbild: © 2019 Warner Bros. Entertainment Inc.

 

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Poetry, The Beach Boys and the Arts – An Interview with Stephen Kalinich

Stephen Kalinich is a self-taught artist with a prolific career. He initially gained prominence in the 1960s writing song lyrics for The Beach Boys, and has since collaborated with Paul McCartney, P. F. Sloan, Brian May and many other famous composers and performers. Although often described as a “poet” whose works uphold 1960s hippie values, Kalinich has been active in many fields, performing his poetry, recording his own songs, acting in movies and now, in his late 70s, starting to paint. Here, he is interviewed by film director Alexander Tuschinski who has been a friend for several years now.

by Alexander Tuschinski

Stephen, when we last met in Los Angeles this February you gave me a wonderful tour of your apartment-turned-painting studio, and you were busy recording a spoken-word album.  How have you spent the time since?

I keep busy being creative, be it creating new paintings or songs. Besides that, I have done a few Zoom performances and I’m doing charity work for the homeless and people affected by the virus. I have a new album coming out called “The Essential Yo MaMa” with Jon Tiven and many talented collaborators; we just put the deal together. I feel it’s important to keep being creative no matter the circumstances. Right now, I probably enjoy performing poetry and painting plus improvisation the most. I am inspired many times daily.

With this interview, my goal is to not only learn about you and your career, but also to potentially inspire people from all walks of life to just start doing creative things for the love of it. That’s my goal with many of my documentary films, too. What do you think about that?

I’m always trying to inspire people to express themselves, so I agree with you completely. At the same time, I do not want to act as if I were superior to others. Something a lot of artist don’t have is humility. Without humility, you cannot be a great artist, a great poet, and this is something that many performers, directors, producers and so on lack. It’s important for me to have people know that.

What artists influenced you when you first became interested in writing? Did you initially think that writing, or particularly song writing, would ever become a career? Did you receive much support?

I do not have much of a faith in pinpointing “influences”. All of life is an influence for me, but I put it together in my own way. Eventually, you make it your own. Some artists influenced me, but so did life experience, travel, just living, creating and discovering my own voice. That being said, there were many artists whose works I enjoyed when growing up. Among them were Walt Whitman, T.S. Eliot, P.F. Sloan, The Beach Boys, the Beatles and the poet Rainer Maria Rilke.

My parents were divorced. My mom was supportive, while my dad was not involved much in my upbringing – he was a professional golfer, a head pro at many country clubs and remarried. My mom did not stop the flow, she let me do almost anything I wanted. She was a loving soul, very kind and sweet. Even though I was not very disciplined, she was seldom angry at me. I always loved to perform in front of audiences since my grandparents had me entertain their guests in their house. Outside of home, I did not receive much support with my creative works, especially with the poetry. Many people said it would never happen. So, I just wrote and performed, and never thought of a career.

Stephen Kalinich’s texts became famous in songs by The Beach Boys:

Source: YouTube

You were born and went to college at the East Coast, but then decided to go to Los Angeles in 1965. LA in the 1960s must have been a fascinating place as a young artist. What was it like when you arrived, did you already have contacts? What did you do when you arrived? How did your creative career start?

When I first came to LA in my early 20s, I actually wanted to go to med school here. I knew no one except for a few of my father’s friends. It was a fascinating place. I remember how exciting it was to me to see oranges growing on a tree, experiencing the great weather, seeing the celebrities… It was like living in a dream, but right next to the wealth was utter poverty. There were many homeless people on the streets, even back then.

Shortly after starting, I dropped out of college when I got a break with my artistic career. From then on, I knew I wanted to be a poet, a spoken-word performer and later a songwriter. But, mostly, I was interested in performing. Brian Wilson wanted me to do a rock record around that time but I never did, as I realized my “drive” was neither fame nor notoriety, but I did want to be known as a peace bringer. I just wanted my work to be used for world peace. Even when I went to Brian Wilson and started collaborating with The Beach Boys in 1968, I cared about the love and the peace and not so much about being a “star” or even a “rock star”. Of course, I am a human being like everyone else and I am not on “a higher planet” so to say. So, even though it was already my goal, I was not totally selfless, and as my career progressed, I did enjoy having a successful song. But over the course of my life I learned to always put my position of wanting to do good and creating a life that’s better for all beings first.


Your collaboration with The Beach Boys – in particular Dennis Wilson – on the album “Friends” in 1968 has been discussed many times. Your songs “Little Bird” and “Be Still” are beautiful and rightfully held in high regard. Your very poetic lyrics came at a time when The Beach Boys started considerably deviating from their original surf image. The Beach Boys, led at the time by the legendary Brian Wilson, were huge stars, and you were writing poetry as a hobby, having just started out in Los Angeles, how did this collaboration come about?

Dennis heard about me through his brother Brian. The entire story began with a lucky chance meeting: One day, at the Hollywood YMCA, I met Jim Critchfield who worked with the famous Jay Ward of Bullwinkle fame. Jay became a friend and huge fan of my poems after I performed in private in his auditorium. He was also a friend of Brian’s, and told me that Brian had just started a new record company and might be open to a poet songwriter. To make a long story short, they set up a meeting with Brian and within weeks I was signed on as a writer. It was exciting, I received a $500 advance which felt like a lot of money back then, when rent was $100 a month. That was the beginning. It was a lucky huge break for me, which led to many more contacts. Additionally, at the time when I wrote “Be Still” and “Little Bird”, I was in love, which might shine through in these lyrics.

What did it feel like when you first heard the final recordings of your songs on the “Friends” album?

I particularly remember hearing “Little Bird” for the first time. I lived in a motel back then and used a payphone on a sidewalk just outside my room as my telephone – I could hear its ringing from within my room. The Beach Boys believed that number was a regular telephone in my apartment, because I was too embarrassed to admit that I didn’t have enough money for one. One day in 1968, it rang, I ran out of my room to answer, and there was Al Jardine on the other end, playing “Little Bird” for me through the phone. So, I listened to my first collaboration with The Beach Boys on an LA side walk through a payphone. I was thrilled, it was an unforgettable moment for me.

You also collaborated with Dennis Wilson when he did a solo album in the 1970s. How did you get along?

Dennis and I became friends, deep friends. We did almost everything together. We first hung out a lot while working and it quickly became a friendship. When collaborating on a song, we would work a little, then go out to eat. We loved each other. He was very respectful of my poetry and said I can influence the world for good and so did Brian, who also became a good friend.

What was the process like when you collaborated with Brian and Dennis Wilson?

The collaboration with both of them was beautiful. Dennis spontaneously came up with melodies off the words with me. He had a rare gift: He could hear a poem and instantly set it to music in his head and sing it back. Very few people saw that side of him. With others, he would do the music first and then find words to it, but not with me. In all our songs I wrote the words first. It was a beautiful collaboration. With Brian I did it both ways. Usually words first, but for the song “A Friend Like You,“ which he performed with Paul McCartney, he gave me the melody first.

Beside Brian and Dennis Wilson, you collaborated with many composers on songs. Do you have a “usual” procedure when collaborating with a composer who sets your words to music? What are your experiences?

It depends. I usually write the words first, but I have done it both ways. I think, to be quite honest, I do not like collaborating on songs most of the time; it’s a struggle, but once in a while it works. It really depends on the collaborator. I am not of the school that the chef is responsible for all of the meal, it takes many players, be it with films, with cooking and so on, but poetry is more of a lonely journey. It requires a special view of living that is less tied to perfection than to joy. That being said, something I love is when musicians improvise to my poems and spoken words.

You never published a book of your poetry. Instead, starting with the LP “A World of Peace Must Come,” which you recorded with Brian Wilson in 1969, you released your poems as spoken-word performances. The performance of “Be Still” on that LP is, to me, one of your finest works. Only quite recently, you started to publish written poems on social media. Is the performance as important to you as the text itself?

Performance is important, but the poem itself must deliver. When I perform, I try to reach, touch, speak to each person in the audience. I try to include them and make it a communication for all of us, in the sense that I want to reach them but let them come to their own conclusions. When I was younger, I used to be an athlete, and I brought my energy from sports into performing. My performances were not subdued, but very energetic. Someone back then compared them to Mick Jagger. I generally prefer live recording – it’s more spontaneous, and even though there might be flaws and mistakes it has an urgent, real feel to it. Recordings in a studio are great but I prefer the straight inspiration of life. Although “Be Still” was not recorded in front of an audience, it was very much “in the moment” – I just recited the poem as Brian played the organ to it spontaneously in one take. All in all, I’d say it’s all important – the text, the performance, the staging. I love performing, I love writing, I love painting, it all belongs together.

„Be Still“, known as a song by The Beach Boys, expanded as a Spoken-Word-Performance:

Source: YouTube 

One evening when we walked in Los Angeles last year, you just started improvising a highly creative, profound and poetic text about our surroundings as we walked by. Do you generally create very intuitively and quickly, or do you sometimes labor over a work for a long time? What do you think of poetry slams?

When it comes to painting, I like to leave “mistakes” in them as part of the artwork, but with songs and poems, less so. I rewrite, polish, edit, cultivate my poems; I lay a garden and take out the “weeds” until it has grown to its full shape. It depends on the work, though, if I like its raw form I leave it alone. You have to look at each work individually to see what it requires. In my writing, I want to allow people room for discovery. I hope I do not demand, but I try to open up a dialogue and get my view of it across, too. I do enjoy some poetry slams, but it’s only one kind of poetry that’s often very “showy”. I prefer variety: Sometimes, I like a slowly recited poem that takes you to peace, or sometimes one that disturbs you. 

You have experimented with many genres, like performing a rap in a music video in the 1980s. That rap performance, “Everybody’s Got a Car In LA,” subverts all expectations one might have of such a video in a good-natured, silly way, and you told me that you were “just having fun” doing it. It is quite a contrast to some of your “deeper” works. Tell us a bit about it.

We are all a combination of many feelings. I sometimes enjoy creating a deliberately silly song that makes you laugh, and I also like to create serious works that rivet you like the “Galactic Symphonies”. My credo is: Let’s create some peace with joy, but also with dead serious words when it is relevant.  The rap song you mentioned – I had the idea, wrote the lyrics quickly and Chris Pelcer put music to it. That’s just how it was born, spontaneously, without many rewrites, I loved the spontaneous flow. It was fun, as I created an alter ego for the music video: Stevie Nobody, whom I later developed more with Jon Tiven in “Yo MaMa”. Somewhere, I have a raw outline of a script for a movie about Stevie Nobody which I want to direct one day.

You have picked up painting only quite recently and are entirely self taught.  Your paintings show a very distinct style, and you often repurpose objects to use as a canvas; be they empty cereal boxes, pieces of cardboard and wood or any other material. What made you decide to start expressing your creativity this way, in your mid 70s? Do you have any painters whose works influence you?

I think many painters inspire me, but I am not sure whether I have been influenced or not by their art. I love Renoir, Monet, Cezanne, Picasso, Matisse and Franz Kline. I was particularly touched by the works of Vicci Sperry, a dear friend who encouraged and supported me. Today, I am not as fond of landscapes as I used to be. Instead, I prefer little faces, and also abstract forms, shapes or color. I never know what I will paint one day to the next, it’s mostly a very intuitive process. I love to seek the unexpected while painting, I love the surprise, the spontaneous outbursts, the calming down, the rage, the calming, the chaos, and trying to shape it into a work that touches me and hopefully some others as well. Only on rare occasion, once in a while, will I set out with a plan for a painting.

You ended up collaborating with numerous artists, including quite a few musicians you listened to while growing up. Many of them have become friends. How do you feel about it?

Grateful. The way I feel today is that I am grateful for all of the people I met, for all the positive ones, and even for those I had negative experiences with, because I learned lessons from them. I love my friends, many have encouraged me, inspired me, but I went my own way.

You are now in your late 70s and highly productive. In a recent, autobiographic poem published on Facebook, you wrote that you have been painting daily for the past three or four years. Do you have a message for people who might want to try to express themselves creatively, but still hesitate?

Be open to this journey of life, be passionate. Make a film, paint, hike, whatever you want within reason – try it. Be kind to other beings, get you ego out of the way, embrace humanity. Just create. Do it, just try. Do not judge yourself, just keep at it. Do not hesitate, go for it whatever it is you do. In all aspects of life, keep joy and adventure alive. Gerda Herrmann, the self-taught “Songwriter of Botnang” whom you made a wonderful documentary film about, is a great example. She’s 89, wrote her first song at 53 and keeps spreading joy through her music. Last year, she set my poem “If I Can Be a Benefit” to music, which made me very happy. It’s never too late. Just create.

You can find Alexander Tuschinski’s interview with Gerda Herrmann (in German) here.


And for more information about director and filmmaker Alexander Tuschinski check out his interview by actor Thomas Goersch (in German as well).

Titelbild: © Alexander Tuschinski

Lyrik, The Beach Boys und die Kunst – Stephen Kalinich im Interview

Stephen Kalinich ist ein autodidaktischer Künstler mit vielseitiger Karriere. In den 1960-er Jahren erlangte er zunächst als Textdichter für The Beach Boys Berühmtheit. Seitdem hat er mit Paul McCartney, P. F. Sloan, Brian May und vielen anderen berühmten Komponisten und Interpreten zusammengearbeitet. Obwohl er oft als „Dichter“ beschrieben wird, der die Hippie-Werte der 1960er Jahre hochhält, war und ist Kalinich in vielen Bereichen aktiv: Er trägt seine Gedichte vor, nimmt eigene Songs auf, spielt in Filmen mit und hat nun mit Ende 70 begonnen, zu malen. Hier ist er im Interview mit Filmregisseur Alexander Tuschinski, der seit einigen Jahren mit ihm befreundet ist.

von Alexander Tuschinski

There’s an original version of the interview in English available, too.


Stephen, als wir uns im Februar dieses Jahres zum letzten Mal in Los Angeles trafen, hast du mir eine faszinierende Führung durch deine Wohnung gegeben, die inzwischen eigentlich eher ein Atelier für deine Malerei ist. Außerdem warst du zu der Zeit damit beschäftigt, ein Spoken-Word-Album aufzunehmen. Wie hast du die Monate seitdem verbracht?

Ich bleibe aktiv mit kreativen Dingen, sei es bei der Arbeit an neuen Gemälden oder beim Songschreiben. Außerdem habe ich ein paar Zoom-Performances gegeben und engagiere mich für Obdachlose sowie für Menschen, die vom Virus betroffen sind. Demnächst erscheint mein neues Album „The Essential Yo MaMa“ mit Jon Tiven und vielen talentierten Mitwirkenden; wir haben gerade einen Deal vereinbart. Ich halte es für wichtig, unter allen Umständen kreativ zu bleiben. Im Moment macht es mir wohl am meisten Spaß, Gedichte aufzuführen, zu malen und zu improvisieren. Ich fühle mich mehrmals am Tag inspiriert.

Mit diesem Interview möchte ich nicht nur etwas über dich und deine Karriere erfahren, sondern möglicherweise auch Menschen aus allen Lebensbereichen dazu inspirieren, einfach kreativ zu sein, wenn sie den Antrieb dazu verspüren. Das Ziel habe ich auch bei vielen meiner Dokumentarfilme. Was denkst du darüber?

Ich versuche immer, Menschen dazu zu inspirieren, sich kreativ auszuleben, also stimme ich dir vollkommen zu. Gleichzeitig möchte ich dabei nicht so tun, als ob ich anderen überlegen wäre. Etwas, was vielen Künstlern fehlt, ist Bescheidenheit. Ohne Bescheidenheit kann man kein großer Künstler, kein großer Dichter sein, und das ist etwas, was vielen Künstlern, Regisseuren, Produzenten und so weiter nicht haben. Für mich ist es wichtig, dass die Menschen das wissen.

Welche Künstler haben dich beeinflusst, als du begannst, dich fürs Schreiben zu interessieren? Hättest du anfangs gedacht, dass du mit dem Schreiben oder spezieller dem Songschreiben jemals eine Karriere aufbauen könntest? Hast du viel Unterstützung erhalten?

Ich halte nicht viel davon, „Einflüsse“ festzusetzen. Das ganze Leben ist ein Einfluss für mich – ich kombiniere es auf meine eigene Art und irgendwann macht man es sich zu eigen. Einige Künstler haben mich beeinflusst, aber das taten auch Lebenserfahrung, Reisen, einfach zu „leben“, kreieren und meine eigene Stimme entdecken. Mit dem im Hinterkopf gab es viele Künstler, deren Werke mir gefielen, als ich aufwuchs. Unter ihnen waren Walt Whitman, T.S. Eliot, P.F. Sloan, The Beach Boys, The Beatles und der Dichter Rainer Maria Rilke.

Meine Eltern waren geschieden. Meine Mutter unterstützte mich, während mein Vater nicht viel mit meiner Erziehung zu tun hatte – er war Profi-Golfer, Head Pro in vielen Country-Clubs und wiederverheiratet. Meine Mutter hat meinen kreativen „Flow“ nicht aufgehalten, sie ließ mich fast alles tun, was ich wollte. Sie war ein liebevoller Mensch, sehr freundlich und gutherzig. Auch wenn ich nicht sehr diszipliniert war, war sie selten wütend auf mich. Ich mochte es, vor Publikum aufzutreten, seit meine Großeltern mich  Gäste in ihrem Haus unterhalten ließen. Außerhalb des Hauses erhielt ich nicht viel Unterstützung bei meinen kreativen Arbeiten, besonders bei der Lyrik. Viele sagten, es würde nie eine Laufbahn werden. Also schrieb und trat ich einfach auf und dachte nie an eine Karriere.

In Songs der Beach Boys wurden Stephen Kalinichs Texte berühmt:

Quelle: YouTube

Du wurdest an der Ostküste geboren und gingst dort aufs College, hast dich dann aber 1965 entschieden, nach Los Angeles zu ziehen. LA muss in den 60ern als junger Künstler ein faszinierender Ort gewesen sein. Kanntest du dort vorher irgendwen? Wie begann deine künstlerische Laufbahn?

Als ich mit Anfang 20 nach LA kam, wollte ich hier eigentlich Medizin studieren. Außer ein paar Freunden meines Vaters kannte ich niemanden. Es war ein faszinierender Ort. Ich erinnere mich, wie aufregend es für mich war, Orangen auf einem Baum wachsen zu sehen, das tolle Wetter zu erleben, die Stars zu sehen … Es war wie ein Traum, aber direkt neben dem Reichtum gab es die totale Armut. Schon damals lebten viele Obdachlose auf der Straße.

Kurz nachdem ich angefangen hatte, brach ich das College ab, als sich Gelegenheiten für meine künstlerische Laufbahn ergaben. Von da an wusste ich, dass ich Dichter, Spoken-Word-Performer und später auch Textdichter für Songs werden wollte. Aber vor allem interessierte ich mich fürs Vortragen. Brian Wilson regte in jener Zeit an, ich sollte ein Rock-Album aufnehmen, aber ich tat es nicht, da mir klar wurde, dass mein „Antrieb“ weder Ruhm noch das Streben nach Bekanntheit waren. Ich wollte als Friedensbringer bekannt sein und hatte bloß das Ziel, dass meine Arbeit dem Weltfrieden dienen sollte. Selbst als ich 1968 zu Brian Wilson ging und begann, mit den Beach Boys zusammenzuarbeiten, ging es mir um die Liebe und den Frieden und nicht so sehr darum, „Star“ oder gar „Rockstar“ zu sein. Natürlich bin ich auch nur ein Mensch und befinde mich nicht auf einer „höheren Ebene”. Obwohl es damals bereits mein Ziel war, war ich nicht völlig selbstlos, und in meiner Karriere genoss ich es, wenn ein Song erfolgreich war. Aber im Laufe meines Lebens habe ich gelernt, meinen Wunsch, Gutes tun zu wollen und ein Leben zu schaffen, das für alle Wesen besser ist, immer an erste Stelle zu setzen.

Deine Zusammenarbeit mit den Beach Boys – insbesondere mit Dennis Wilson – auf dem Album „Friends“ im Jahr 1968 wurde oft diskutiert. Deine wunderbaren Lieder „Little Bird“ und „Be Still“ werden zu Recht hoch geschätzt. Die sehr poetischen Texte kamen zu einer Zeit, als die Beach Boys anfingen, sich von ihrem ursprünglichen Surf-Image zu lösen. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? Du warst Hobbydichter, neu in Los Angeles, und The Beach Boys, damals unter der Leitung des legendären Brian Wilson, waren große Stars.

Dennis erfuhr über seinen Bruder Brian von mir. Die Geschichte begann mit einem glücklichen Zufallstreffen: Eines Tages traf ich in Hollywood beim YMCA Jim Critchfield, der mit dem berühmten Jay Ward von Bullwinkle arbeitete. Jay und ich freundeten uns an und er wurde ein großer Fan meiner Gedichte, nachdem ich privat in seinem Auditorium aufgetreten war. Er war mit Brian befreundet und erzählte mir, dass dieser gerade eine neue Plattenfirma gegründet hatte und für einen Dichter/Songwriter offen sein könnte. Um es kurz zu machen: Sie arrangierten ein Treffen mit Brian, und innerhalb weniger Wochen wurde ich als Autor unter Vertrag genommen. Es war aufregend, ich erhielt einen Vorschuss von 500 Dollar. Damals betrug die Miete 100 Dollar pro Monat, deshalb fühlte sich das wie viel Geld an. Das war der Anfang. Es war ein großer Glücksfall für mich, der zu vielen weiteren Kontakten führte. Außerdem war ich zu der Zeit, als ich „Be Still“ und „Little Bird“ schrieb, verliebt, was in den Texten durchscheinen könnte.

Wie fühlte es sich an, als du das erste Mal die Aufnahmen deiner Songs fürs „Friends“-Album hörtest?

Ich erinnere mich vor allem, wie ich „Little Bird“ das erste Mal hörte. Ich wohnte damals in einem Motel und nutzte ein Münztelefon auf dem Gehweg direkt neben meinem Zimmer als Telefon. Wenn es draußen klingelte, konnte ich es von innen hören. Die Beach Boys dachten, die Nummer sei ein normales Telefon in meiner Wohnung, weil ich mich zu sehr schämte, dass ich mir keines leisten konnte. Eines Tages im Jahr 1968 klingelte es, ich rannte aus dem Zimmer, hob ab, und am anderen Ende der Leitung war Al Jardine, der mir „Little Bird“ durchs Telefon vorspielte. Ich hörte also meine erste Zusammenarbeit mit den Beach Boys auf einem Gehweg in LA durch ein Münztelefon. Ich war sehr aufgeregt, es war ein Augenblick, den ich nie vergessen werde.

Du hast auch mit Dennis Wilson zusammengearbeitet, als er in den 1970er Jahren ein Soloalbum aufnahm. Wie habt ihr euch verstanden?

Dennis und ich wurden enge Freunde. Wir machten fast alles zusammen. Zuerst verbrachten wir bei der Arbeit viel Zeit und daraus wurde schnell eine Freundschaft. Wenn wir gemeinsam an einem Song arbeiteten, schrieben wir ein wenig Musik und gingen in Pausen gemeinsam Essen. Wir waren eng verbunden. Er hatte großen Respekt vor meiner Lyrik und sagte, ich könne die Welt zum Guten beeinflussen – was Brian, der ebenfalls ein guter Freund wurde, ebenso sagte. 

Wie lief die Zusammenarbeit mit Brian und Dennis Wilson ab?

Die Zusammenarbeit mit beiden war wunderschön. Dennis erfand spontan Melodien, während ich meine Worte vortrug. Er hatte eine seltene Gabe: Er konnte ein Gedicht hören, es sofort in seinem Kopf vertonen und singend wiederholen. Nur sehr wenige Menschen kannten diese Seite von ihm. Bei anderen Songtextern gab er zuerst die Musik vor und fand dann die Worte dazu, aber nicht bei mir. Bei all unseren gemeinsamen Liedern schrieb ich zuerst die Texte. Es war eine schöne Zusammenarbeit. Mit Brian habe lief es auf beide Arten ab. Normalerweise schrieb ich zuerst die Texte, aber für den Song „A Friend Like You“, den er mit Paul McCartney sang, gab er mir zunächst die Melodie vor. 

Neben Brian und Dennis Wilson hast du mit vielen anderen Komponisten an Songs zusammengearbeitet. Hast du ein „übliches“ Verfahren, wenn jemand deine Texte vertonen soll? Welche Erfahrungen hast du gemacht?

Das kommt darauf an. Normalerweise schreibe ich die Worte zuerst, aber ich habe schon auf beide Arten gearbeitet. Ich glaube, um ganz ehrlich zu sein, dass ich die Zusammenarbeit an Liedern die meiste Zeit nicht mag; es ist ein Kampf, aber hin und wieder funktioniert es. Es kommt wirklich auf die Person an. Ich habe nicht die Einstellung, dass der Koch allein fürs ganze Essen verantwortlich ist, es braucht viele Mitwirkende, sei es beim Film, beim Kochen und so weiter. Aber Lyrik ist eher eine einsame Reise. Sie erfordert eine besondere Sicht des Lebens, die weniger an Perfektion als an Freude gebunden ist. Abgesehen davon liebe ich es, wenn Musiker zu meinen Gedichten und gesprochenen Worten improvisieren.

Du hast deine Gedichte nie in Buchform veröffentlicht sondern stattdessen als Spoken-Word-Performances. Das begann mit der LP „A World of Peace Must Come“, die du 1969 mit Brian Wilson aufgenommen hast. „Be Still“ auf dieser LP ist für mich eines deiner besten Werke. Erst vor kurzem hast du damit begonnen, Gedichte auch in Schriftform in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen. Ist dir der Vortrag genauso wichtig wie der Text selbst?

Der Vortrag ist wichtig, aber das Gedicht muss auch für sich selbst wirken. Wenn ich auftrete, versuche ich, jede Person im Publikum zu erreichen, zu berühren, anzusprechen. Ich versuche, sie einzubeziehen und eine Kommunikation für uns alle zu erschaffen – in dem Sinne, dass ich die Menschen im Publikum erreichen möchte, sie aber zu ihren eigenen Schlussfolgerungen kommen lasse. Als ich jünger war, war ich Sportler, und ich habe meine Energie aus dem Sport in den Vortrag eingebracht. Meine Darbietungen waren nicht gedämpft, sondern sehr energisch. Jemand verglich sie damals mit Mick Jagger. Im Allgemeinen ziehe ich Liveaufnahmen vor – sie sind spontaner, und auch wenn es Mängel und Fehler geben mag, fühlen sie sich drängend, „echt“ an. Studioaufnahmen sind schön, aber ich bevorzuge die direkte Inspiration aus dem Leben. Obwohl „Be Still“ nicht vor einem Publikum aufgenommen wurde, war es sehr „im Moment“ – ich habe das Gedicht einfach rezitiert, während Brian in einem Take spontan die Orgel dazu spielte. Allgemein denke ich, alles ist wichtig, der Text, die Aufführung, die Inszenierung. Ich liebe den Vortrag, das Schreiben, die Malerei, es gehört alles zusammen.

„Be Still“, bekannt als Song der Beach Boys, hier erweitert als Spoken-Word-Performance:

Quelle: YouTube

Als wir letztes Jahr einmal abends in Los Angeles spazieren gingen, begannst du einfach, einen kreativen, tiefgründigen und poetischen Text über unsere Umgebung zu improvisieren. Bist du normalerweise so intuitiv und schnell oder „feilst“ du manchmal lange an einem Werk? Was hältst du von Poetry Slams?

Wenn es um Malerei geht, lasse ich gerne „Fehler“ als Teil des Kunstwerks in den Gemälden, aber bei Songs und Gedichten eher weniger. Ich schreibe meine Gedichte um, poliere, bearbeite, kultiviere sie; ich lege einen Garten an und entferne das „Unkraut“, bis er zu seiner vollendeten Form gewachsen ist. Es hängt jedoch vom Werk ab – wenn mir seine rohe Fassung gefällt, lasse ich es in Ruhe. Man muss sich jedes Werk einzeln ansehen, um zu sehen, was es braucht. In meinem Schreiben möchte ich den Menschen Raum für Entdeckungen lassen. Ich hoffe, dass ich nicht fordere, aber ich versuche, einen Dialog zu eröffnen und auch meine Sicht der Dinge zu vermitteln. Ich mag zwar einige Poetry Slams, aber es ist lediglich ein einzelner Stil von Lyrik, der zudem oft auf einen „Showeffekt“ abzielt. Ich bevorzuge die Abwechslung: Manchmal mag ich ein langsam vorgetragenes Gedicht, das einen zur Ruhe bringt, oder manchmal eines, das aufschreckt.

Du hast mit vielen Genres experimentiert. Bspw. bist du in den 80ern mit einem Rap in einem Musikvideo aufgetreten. Diese Rap-Performance „Everybody’s Got a Car In LA“ untergräbt auf freundlich-alberne Art alle Erwartungen, die man an ein solches Video stellen könnte. Du hast mir einmal gesagt, dass du dabei „einfach nur Spaß“ hattest. Es ist ein ziemlicher Kontrast zu einigen deiner „tieferen“ Arbeiten. Erzählen uns ein wenig darüber.

Wir alle sind eine Kombination aus vielen Gefühlen. Manchmal genieße ich es, ein absichtlich albernes Lied zu kreieren, das einen zum Lachen bringt, und ich schaffe auch gerne ernste Werke, die einen fesseln wie die „Galaktischen Sinfonien“. Mein Credo lautet: Lasst uns mit Freude Frieden schaffen, aber, wenn es relevant ist, auch mit todernsten Worten. Zum Rap-Song, von dem du sprichst – ich hatte die Idee, schrieb schnell den Text und Chris Pelcer vertonte ihn. So ist er entstanden, spontan, ohne viele Korrekturen, ich mochte den spontanen kreativen Fluss. Es hat Spaß gemacht, denn ich schuf ein alter ego für das Musikvideo: Stevie Nobody, den ich später mit Jon Tiven in „Yo MaMa“ weiterentwickelte. Irgendwo habe ich einen groben Entwurf eines Drehbuchs für einen Film über Stevie Nobody, bei dem ich eines Tages Regie führen möchte.

Du hast erst vor ein paar Jahren mit der Malerei begonnen und bist Autodidakt. Deine Gemälde haben einen sehr eigenen Stil, und deine „Leinwand“ sind oft Objekte wie leere Getreideschachteln, Karton- und Holzstücke oder andere Materialien. Was hatte dich mit Mitte 70 dazu bewogen, dich auf diese Weise kreativ auszuleben? Gibt es Maler, deren Werke dich beeinflussen?

Ich denke, dass viele Maler mich inspirieren, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich von ihren Werken beeinflusst wurde oder nicht. Ich liebe Renoir, Monet, Cezanne, Picasso, Matisse und Franz Kline. Besonders haben mich die Werke von Vicci Sperry berührt. Sie war eine gute Freundin, die mich ermutigt und unterstützt hat. Heute mag ich Landschaften nicht mehr so gerne wie früher. Stattdessen bevorzuge ich kleine Gesichter, aber auch abstrakte Formen, Gestalten oder Farben. Ich weiß nie, was ich von einem Tag auf den anderen malen werde, es ist meist ein sehr intuitiver Prozess. Ich liebe es, beim Malen das Unerwartete zu suchen, ich liebe die Überraschung, die spontanen Ausbrüche, das Beruhigende, die Wut, die Ruhe, das Chaos, und versuche, daraus ein Werk zu formen, das mich und hoffentlich auch einige andere berührt. Nur in seltenen Fällen, hin und wieder, beginne ich ein Gemälde mit einem konkreten Plan.

Du hast mit zahlreichen Künstlern zusammengearbeitet, darunter auch mit einigen Musikern, deren Werke du schon als Jugendlicher mochtest. Viele von ihnen sind Freunde geworden. Wie fühlst du dich beim Gedanken daran?

Dankbar. So, wie ich es heute sehe, bin ich dankbar für alle Menschen, die ich getroffen habe. Dankbar für all die positiven und sogar für jene, mit denen ich negative Erfahrungen gemacht habe, weil ich daraus gelernt habe. Ich liebe meine Freunde, viele haben mich ermutigt, mich inspiriert, aber ich bin schlussendlich meinen eigenen Weg gegangen.

Du bist inzwischen Ende 70 und nach wie vor sehr produktiv. In einem kürzlich auf Facebook veröffentlichten, autobiographischen Gedicht schreibst du, dass du seit drei oder vier Jahren täglich malst. Hast du eine Botschaft für Menschen, die versuchen möchten, sich kreativ auszudrücken, aber immer noch zögern?

Seid offen für diese Lebensreise, seid leidenschaftlich. Dreht einen Film, malt, wandert, was immer ihr im Rahmen des Möglichen wollt – versucht es. Seid freundlich zu anderen Lebewesen, räumt euer Ego aus dem Weg, lasst euch auf die Menschlichkeit ein. Erschafft einfach. Tut es einfach, versucht es. Verurteilt euch nicht selbst, bleibt einfach dabei. Zögert nicht, probiert es einfach, was immer ihr auch tut. Haltet in allen Lebensbereichen die Freude und den Sinn für Abenteuer am Leben. Gerda Herrmann, die autodidaktische „Liedermacherin von Botnang“, über die du einen wunderbaren Dokumentarfilm gedreht hast, ist ein schönes Beispiel. Sie ist 89 Jahre alt, schrieb ihr erstes Lied mit 53 Jahren und verbreitet immer wieder Freude durch ihre Musik. Letztes Jahr vertonte sie mein Gedicht „If I Can Be a Benefit“, was mich sehr glücklich gemacht hat. Es ist nie zu spät. Erschafft einfach.

Alexander Tuschinskis Interview mit Gerda Herrmann findet ihr hier.


Mehr über Regisseur und Filmemacher Alexander Tuschinski im Interview von Schauspieler Thomas Goersch.

 

Titelbild: © Alexander Tuschinski

 

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Fünf Jahre postmondän (mit Überraschung)

Wir feiern Plattform-Geburtstag – mit Relaunch, Tomte-Zitat und Überraschung.


Endlich einmal etwas, das länger als vier Jahre hält.

Tomte

Wir freuen uns, im August 2015 mit postmondän angefangen zu haben. Das ermöglicht uns nämlich jetzt, unseren fünften Geburtstag zu feiern. Was wir auch tun – und es ist wirklich ein Traum, dass wir das hier machen können und sogar gelesen werden. Wir sind sehr glücklich, aber auch immer noch ein bisschen überrascht, dass wir hier im Magazin schon ein paar hundert Texte über Alben, Bücher, Filme, Theaterstücke, Kunstwerke von über dreißig Autor*innen veröffentlichen konnten. Dass 2020 nun nicht mehr das Jahr der großen Partys wird, steht auch schon seit Monaten fest. Trotzdem möchten wir den Geburtstag nicht komplett vorbeiziehen lassen und ihn stattdessen mit einem Relaunch unserer Seite feiern, die heute nach ein paar Wochen Rumgerumpel wieder aus ihrem Kokon krabbelt, wie eine Raupe das tut, wenn sie zu einem edlen Nachfalter oder einer stolzen Motte mutiert ist. Alles neu designt, bisschen schlanker, bisschen schneller, mit viel Platz für viele neue Texte – und eben mit Flügeln. Ist aber noch nicht alles.

Geburtstagsüberraschung

In den Relaunch hat sich eine Überraschung für euch eingeschlichen, nämlich unser eigener kleiner Online-Shop. Ihr findet darin ein Geburtstagsmotiv mit zwei neuen Freund*innen von uns, die uns sehr ans Herz gewachsen sind und euch, wenn ihr mögt, ein wenig durch den Alltag begleitet: durch die Kaffeepause, zum Schulsport, in die Festivalsaison (2021!) und überallhin, wo man nicht so gern oben ohne rumlaufen möchte, um nur ein paar der bedruckten Produkte anzuteasern. Man kann da draufklicken, rumgucken und wirklich echt Sachen kaufen. Kommen dann per Post. Probiert das ruhig mal aus.

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