Alle Artikel von Lukas Lehning

Maji-Maji und der vergessene Krieg

Maji Maji Flava zeigt, wie Bismarcks Truppen Hunger, Krieg und Not über die  ostafrikanische Bevölkerung brachten. Ein vergessenes Kapitel grausamer Kolonialgeschichte. Von 1905 bis 1907.


In ihrem Bestreben, der Bodenschätze des Landes habhaft zu werden, plünderten, unterdrückten und töteten die deutschen „Schutztruppen“ unter Bismarck tausende Ostafrikaner٭innen. Ein Kapitel deutscher Geschichte, das nur wenig Beachtung findet: Wer kennt schon den Maji-Maji-Krieg? In Tansania ist er eine Legende, in Deutschland ein Tabu-Thema. Tatsache ist: Er forderte tausende Opfer auf ostafrikanischer Seite und prägte das Land für immer. Das Stück Maji Maji Flava stopft aber nicht nur Lücken in der Allgemeinbildung, es stellt Fragen nach individueller und kollektiver Schuld, nach wirtschaftlicher Abhängigkeit von ehemaligen Kolonialmächten und danach, ob und, wenn ja, wie Menschen über Ländergrenzen hinweg kommunizieren können.

Nur vordergründig handelt Maji Maji Flava von der Geschichte über die Magie des Wassers, das vor den Kugeln der Kolonialisten schützen soll. Einer Legende, die dazu führe, dass tausende Menschen fast unbewaffnet gegen die Armee der Kolonialisten kämpften. Dahinter verstecken sich der Gegensatz zweier Kulturen und die Grausamkeit der Kolonialgeschichte Deutschlands.

Schon zu Beginn des Stücks wird das Publikum in die Pflicht genommen. Es muss einen Anfang wählen. Möchte es lieber einen Drink an der Bar bekommen, oder will es sich von einem der Schauspieler über alle grausamen Details des Maji-Maji-Krieges aufklären lassen.  Schnell bilden sich zwei Gruppen, die sich auf den Saal und die Bar des Theaters verteilen. Nach dieser Einführung versammeln sich Schauspieler٭innen und Zuschauer٭innen im Vorführungssaal. Das tansanisch-deutsche Team aus Isack Peter Abeneko, Jan S. Beyer, Sabrina Ceesay, Konradin Kunze, Shabani Mugado und Lisa Stepf führen dem Publikum ein einer Mischung aus Tanz, Schauspiel und Gesang vor Augen, wie zwei völlig verschiedene Kulturen aufeinanderprallen. Die eine, mit dem Plan, ein Land und seine Bevölkerung zu unterwerfen und auszubeuten, die andere mit dem Bestreben, sich dieser zu erwehren.

Die zunehmende Lautstärke und Intensität der Szenen, in denen marschiert wird, Lager errichtet und Sklaven gedemütigt werden, führen dem Publikum die bodenlose Brutalität der Kolonialherrscher٭innen vor Augen. Immer wieder werden diese Szenen dadurch gebrochen, dass die Rollen getauscht, aber sogleich durch winzige Andeutungen eingeordnet werden. Auf diese Weise ist keiner der Schauspieler٭innen nur Täter٭in oder nur Opfer. Dies ermöglicht es dem Publikum auf zum einen, sich kurz vom Gesehenen zu erholen, wodurch die Eindrücke noch an Wirkungskraft gewinnen und zum anderen zeigt es, wie ein ganzes Land im Chaos des Krieges versinkt.

Unterlegt ist all dies mit Anweisungen der deutschen Heeresleitung, die immer wieder von einem der Schauspielenden im Originaltext vorgelesen, aufgenommen und wiederholt werden. Hierdurch wird einmal mehr der Bruch zwischen der durchorganisierten Lebenswelt der deutschen Besatzer und der im Glauben an überirdische Mächte verwurzelten Gesellschaft der ostafrikanischen Bevölkerung betont. Der Tatsache, dass sich dieser Kontrast bis in die Gegenwart gehalten hat, trägt dieses beeindruckende Theaterprojekt dadurch Rechnung, dass es das Publikum am Ende des Stückes wieder vor die Wahl stellt. Reagieren, Stellung beziehen, die Augen schließen. Keine dieser Möglichkeiten scheint eine würdige abschließend Reaktion auf das Gesehene zu sein.

Mit kluger Analyse, beeindruckender schauspielerischer Leistung und ungeschminkter Darstellung der Vergangenheit regt das Stück auch noch am nächsten Tag zu Diskussionen über Kolonialismus, Kollektivschuld und Geschichtswahrnehmung an.

Leider läuft dieses außergewöhnliche und sehenswerte Stück nur noch dieses Wochenende in den Sophiensælen Berlin, bevor es wieder ins Staatstheater Kassel zieht.

Quelle: Vimeo

Titelbild: © N. Klinger

Eurydike im Rampenlicht

Elfride Jelinek und Katie Mitchell lassen das Schaubühnen-Publikum in Schatten (Eurydike sagt) hinter die Kulissen der Orpheus-Sage blicken. Dieses erlebt eine Eurydike, die endlich aus dem Schatten ihres Mannes treten möchte.


Mit ihrem Stück Schatten (Eurydike sagt) präsentiert Elfriede Jelinek eine moderne, nach Selbstbestimmung strebende Eurydike. Die antike Sage von Orpheus (Renato Schuch) und Eurydike (Jule Böwe) interpretiert als Konflikt zwischen einer Frau, die es leid ist im Schatten ihres, von allen bewunderten, Liebhabers zu stehen. Dabei bleibt Jelinek der Sage inhaltlich treu und verändert sie allein dadurch, dass sie Eurydike eine Stimme gibt. Nun ist nicht mehr allein von ihm die Rede, dem begnadeten Sänger, der seine geliebte Nymphe Eurydike aus der Welt der Toten zurückzuholen versucht und sie für immer verliert, als er die einzige Bedingung, die ihm die Götter der Schattenwelt gestellt haben, nämlich Eurydike auf dem Weg in die Welt der Lebenden nicht anzusehen, missachtet.

Jelinek führt dem Publikum vor Augen, dass es in dieser Sage noch eine zweite Ebene geben kann. Modern interpretiert ist Eurydike nicht mehr länger Objekt der Liebe ihres Mannes Orpheus, sondern Mensch mit Gefühlen, (geplatzten) Träumen und dem Willen nicht mehr besessen zu werden. Ist es ihr zu Lebzeiten nicht gelungen, sich aus dem übermächtigen Schatten ihres Sängers zu lösen und von ihm unabhängig wahrgenommen zu werden, fühlt sie sich nun in der Welt der Schatten seltsam befreit.

„Das Größte aber ist, nicht zu lieben und nicht geliebt zu werden.“

Schaubuehne am Lehniner Platz. ‘’SCHATTEN. Eurydike sagt”. Von Elfriede Jelinek. Regie: Katie Mitchell, Buehne: Alex Eales, Kostueme: Sussie Juhlin-Wallen . Mit Jule Boewe, Stephanie Eidt, Renato Schuch, Maik Solbach. Premiere am 28. September 2016.

© Gianmarco Bresadola

Doch Orpheus kann ihren Tod nicht akzeptieren. Er kommt sie holen. Er will sie wiederhaben. Wieder besitzen. Wie eine Trophäe. Sie ist sein Kontakt zur Außenwelt. Nur durch sie kann er sich selbst spüren. Genau das ist es, was Eurydike zur Verzweiflung bringt. Nicht sie ist es, die er liebt, sondern sich selbst. Durch sie. Ihre Person ist die Projektionsfläche für seine Gefühle.

Und genau mit dieser Projektionsfläche arbeitet Katie Mitchell. Auf der Bühne beobachtet das Publikum das Set eines Spielfilms und über der Bühne sieht es zeitgleich auf einer Leinwand, was auf diesem Set aufgenommen wird. Keiner der Schauspieler spricht zum Publikum. Stattdessen wird mit Kameras und vor täuschend echt aussehenden Kulissen agiert. Das Publikum wird Zeuge zweier Realitäten. Der einen, in der reale Menschen miteinander interagieren und der anderen, die über diesem Geschehen schwebt und Folge dieser Interaktion ist. In der einen interagieren Orpheus, Eurydike und Charon (Maik Solbach) miteinander. In der anderen sieht man das Ergebnis dieser Interaktion. Begleitet wird dieses Spiel durch eine Sprecherin (Stephanie Eidt), die in einem Glaskasten am Rand der Bühne sitzt und allein Eurydike eine Stimme verleiht.

Schaubuehne am Lehniner Platz. ‘’SCHATTEN. Eurydike sagt”. Von Elfriede Jelinek. Regie: Katie Mitchell, Buehne: Alex Eales, Kostueme: Sussie Juhlin-Wallen . Mit Jule Boewe, Stephanie Eidt, Renato Schuch, Maik Solbach. Premiere am 28. September 2016.

© Gianmarco Bresadola

Nur ein einziges Mal richtet Eurydike ihr Wort direkt ans Publikum, wenn sie sagt:

„Ich will doch nur meine Ruhe haben.“

Das ist bedrückend. In diesem Moment wird klar, wie schmal der Grad zwischen Liebe und dem Wunsch nach Besitz sein kann und wie diese Gratwanderung von der Antike bis heute immer neu gegangen werden muss.

Mit Hilfe der sprechenden Eurydike stellt Jelinek dem Publikum zwei Fragen. Die erste beschäftigt sich mit den Rollen, die Frau und Mann im gesellschaftlichen Gefüge zukommen. Die zweite damit, wie eine antike Sage modern erzählt werden kann.

Möglich ist ihr dies durch ein vielköpfiges Team, das vor und hinter den Kulissen agiert. Bildregie: Chloë Thomson; Bühne: Alex Eales; Kostüme: Sussie Juhlin-Wallen; Videodesign: Ingi Bekk; Mitarbeit Videodesign: Ellie Thompson; Sounddesign: Melanie Wilson, Mike Winship; Licht: Anthony Doran; Dramaturgie: Nils Haarmann; Skript: Alice Birch; Kamera: Nadja Krüger, Stefan Kessissoglou, Christin Wilke, Marcel Kieslich; Boom Operator: Simon Peter

Titelbild: © Gianmarco Bresadola

Kein Mitleid mit dem Publikum

Wie Kugeln aus einem Maschinengewehr fliegen die Worte ins schutzlos dasitzende Berliner Schaubühnen-Publikum. Krieg, Mord, Vergewaltigung. Harte Geschosse, die treffen – in Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs.


Auf der Bühne sitzt eine junge Frau (Consolate Sipérius) in betont gewöhnlicher Kleidung. Vom Publikum abgewandt erzählt sie einer Kamera, wie sie, eine Kriegswaisin aus Ruanda, im Alter von vier Jahren von einem belgischen Paar adoptiert wurde. Hinter ihr wird die Szene übergroß auf eine Leinwand geworfen.
Während sie von Gegensätzen und Konflikten in ihrer Jugend erzählt, betritt eine große, blonde Frau (Ursina Lardi) in einem eng anliegenden Kleid die Szene. Sie nimmt der Jüngeren das Wort aus dem Mund, geht in die Mitte der mit Unrat dekorierten Bühne und wirft die großen Fragen des Theaters auf: Was bedeutet es, eine Rolle zu spielen? Woran merkt das Publikum, dass sich etwas Einzigartiges ereignet? Und darf man das Leid anderer Menschen darstellen, um damit Geld zu verdienen?

Um zu unterstreichen, dass sie nun eine Rolle spielen wird, postiert auch sie sich hinter einer Kamera. Allerdings im Stehen an einem Rednerpult und mit Blick ins Publikum. Die Augen der Zuschauer*innen richten sich auf die Leinwand hinter ihr. Einer Nachrichtensprecherin gleich, sieht man dort ihr Gesicht in Großaufnahme direkt in die Kamera blickend. 
Es beginnt ein Monolog, der gut zwei Drittel des Theaterstücks einnehmen wird. Jung und unendlich naiv habe sie den Krieg zwischen Hutu und Tutsi erlebt. Als freiwillige Helferin war sie in jenem Land, aus dem die junge Dame, die während des gesamten Monologs geduldig hinter ihrem Schreibtisch sitzen wird, geholt wurde.

Was anfänglich der Versuch gewesen sei, sich selbst zu finden, indem man anderen Menschen helfe, sei zu einer, ihr gesamtes Leben bestimmenden Erfahrung geworden. In immer höherem Sprechtempo durchbrochen von Tränen und verzweifeltem Lachen, erzählt sie dem atemlos dasitzenden Publikum, wie sie den Ausbruch des Bürgerkriegs, Hinrichtungen, Vergewaltigungen und die Sprachlosigkeit der Opfer hautnah miterlebte. Da sie die Schreie der Opfer nicht mehr hätte ertragen können, habe sie angefangen Beethoven zu hören. Lauter und immer lauter. Um den „Lärm des Schlachtens“, wie sie ihn nennt, zu übertönen.

Als traute Regisseur Milo Rau der Kraft Lardis Wort nicht, wird Beethoven eingespielt. Lauter und immer lauter übertönen die Lautsprecher bald alles im Saal – sogar die eigenen Gedanken. Als der Lärm ein Ende hat, geht der Monolog weiter. Die Worte, die das Publikum bis dahin in Atem gehalten hatten, drohen dieses mehr und mehr zu ersticken. Ohne Pause, ohne Raum für Gedanken oder Emotionen werden immer neue Facetten der Grausamkeit eines vergangenen Bürgerkriegs freigelegt. Nach circa 100 Minuten ist alles erzählt: Vermeintliche Täter, Opfer und die grausamsten Hinrichtungsmethoden sind definiert.
Was nun folgt ist ein Potpourri aus weltpolitischen Fakten, Traumabewältigungen und dem Vergleich der damaligen Bürgerkriegssituation mit der Lage von NGOs in aktuellen Krisengebieten. Aus welchem Grund sich Rau entschied, am Ende seines Stückes die Arbeit derzeitiger Helfer*innen als Krisentourismus zu diskreditieren, bleibt ebenso ungeklärt, wie die anfänglich aufgeworfenen Frage, unter welchen Bedingungen es legitim sein könne, mit dem Leid anderen Menschen Geld zu verdienen.

Dem Zuschauer drängt sich am Ende des Stücks Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs ohnehin eine andere Frage auf: Warum wurde es dargeboten? Wollte Rau die Grausamkeiten eines Kriegs vermittelt? Nein, das wäre zu trivial. Sollte das Stück zum Nachdenken über NGOs, Kriege und deren Darstellungen in der Berichterstattung anregen? Nein, dafür war die Darstellung zu undifferenziert. Sollte die asymmetrische Verteilung der Redezeit zwischen der Frau aus Afrika und der Dame aus Europa den Denkanstoß in die „richtige“ Richtung geben? Vielleicht. Nur leider gibt es keine Zeit zum Denken, ja, nicht mal zum Entwickeln irgendwelcher Emotionen. Atemlosigkeit und Leere sind die Folge dieses Stücks. Erschlagen von 105 Minuten Kriegserzählung.

Titelbild: © Daniel Seiffert

Liebe, Drama, Wahnsinn – lite.

Yasmina Rezas „Bella Figura“ bietet pausenlose Trostlosigkeit in atemberaubender Langeweile. Hundertfünf Minuten lang. Was in „Gott des Gemetzels“ begeistert, fehlt hier: Spannung. Da hilft auch kein Thomas Ostermeier.


In ihrem Stück „Bella Figura“ bringt Yasmina Reza den faden Alltag in die Schaubühne. Dabei bekommt sie Unterstützung von: Thomas Ostermeier .

Mit der Erfindung des Autos entstand der Autounfall und mit dem Aufkommen der Ehe der Ehebruch. Soweit nichts Neues. Dass ein kleiner Autounfall dann dazu genutzt wird, den Ehebruch ans Licht kommen zu lassen, wirkt hingegen an den Haaren herbeigezogen.

Zu Beginn des Stückes blicken die Theaterbesucher٭innen auf einen Kleinwagen. In ihm sitzen Boris (Mark Waschke) und seine Affäre Andrea (Nina Hoss) auf dem Weg zu einem Restaurant. Als Boris erwähnt, dass seine Ehefrau ihm die Adresse einst für ein Geschäftsessen empfohlen hatte, kommt es zum Streit zwischen den beiden. In den nächsten Minuten erhalten die Zuschauer٭innen Einblick in das trostlose Leben eines fast bankrotten Kleinunternehmers und die Zerrissenheit einer tablettenabhängigen, alleinerziehenden Mutter. Eigentlich eine Spannung versprechende Ausgangssituation.

Doch als die beiden wieder ins Auto steigen und Boris wutentbrannt aufs Gas tritt, passiert es: Die Langeweile bricht aus. Das Ausparkmanöver auf dem Restaurantparkplatz und eine alte Dame, die von Boris angefahren wird, müssen dazu herhalten, der Geschichte drei weitere Protagonist٭innen hinzuzufügen.

Nach einer Schrecksekunde stellen sich alle einander vor. Die Angefahrene, aber unverletzte heißt Yvonne (Lore Stefanek), die in Begleitung ihres Sohnes Erik (Renato Schuck) und dessen Frau, Francoise (Stephanie Eidt) ihren Geburtstag feiert. Kaum erblicken sich Francoise und Boris, wird klar, dass sie die beste Freundin seiner Frau ist, die er ja nun gerade hintergeht. Wem dies noch nicht konstruiert genug erscheint, der bekommt nun noch eine Extraportion. Nach einem kurzen Wortgemenge entscheiden die fünf sich nämlich nun, gemeinsam in das Restaurant zu gehen, auf dessen Parkplatz sie sich grade kennengelernt haben.

Im Laufe der folgenden Szenen, die mal auf der Toilette (Toilette auf Bühne) des Restaurants und mal am gedeckten Tisch (Tisch auf Bühne) spielen, treten alle anwesenden Personen gedanklich auf der Stelle und machen einander reihum für die verworrene Situation verantwortlich. Boris lamentiert über seinen bevorstehenden Bankrott, Andrea über Boris, Francois darüber, ob sie ihrer besten Freundin erzählen muss, was sie grade erlebt, und Erik darüber, dass er es niemandem recht machen kann. Einzig der Mutter Yvonne ist es zu verdanken, dass die Szene nicht gänzlich den Charakter einer Vorabendserie bekommt. Fast in letzter Minute wird ihre Demenz dazu genutzt, um etwas Schwung in die schon tausendfach gehörten Gespräche zu bringen. Indem sie Andrea schonungslos vor den Schrecken des Alterns warnt und Francoise unverblümt ihre Abneigung offenbart, irritiert sie gelegentlich die öde Situation.

Alles in Allem erlebt das Publikum eine 105 Minuten lang dahinmäandernde Geschichte voll Tristesse. Die Figuren erleben keinerlei gedankliche Entwicklung und es wird auch keine Gewissensfrage herausgearbeitet, die das Publikum mit nach Hause nehmen könnte. Einzig Andrea bemerkt in der Schlussszene, dass sie ihr Leben lang auf der Stelle getreten hat.

Der wesentliche Unterschied zur Soap scheint darin zu bestehen, dass es keine Pause gibt. Es drängt sich die Frage auf, ob es einem nicht selbst ergehen wird, wie Andrea, wenn man sich nicht gedanklich fordern lässt.

Daran kann weder der engagierte Einsatz von Nina Hoss, Mark Waschke, Stephanie Eidt, Renato Schuch und Lore Stefanek, noch die Videoinstallation, die den Bühnenhintergrund bespielt, etwas ändern.

Titelbild: © Arno Declair

Hiobs Qualen im Deutschen Theater

Hiob und Publikum werden geprüft. Er in seiner Treue zum Glauben, die Anderen in ihrer Geduld. Anne Lenks Treue zu Thomas Roths Text verlangt Treue und Geduld.


Anne Lenk bringt Hiobs Qualen oder besser Thoms Roths Buch Hiob auf die Bühne. Der Text bietet viel. Neben der bekannten Geschichte Hiobs, der seinen Glauben trotz zahlreicher Schicksalsschläge oder Gottesprüfungen nicht verliert, geht es um Immigration, Sinnsuche und eigenverantwortliches Handeln.

Mendel Singer (Bernd Moss) ist ein frommer Privatlehrer in einem kleinen russischen Städtchen. Er bringt Kindern das alte Testament nahe, wie bereits sein Vater und sein Großvater vor ihm. Zusammen mit seiner Frau Deborah (Almut Zilcher) und drei Kindern lebt er in schlichten Verhältnissen. Doch dann ereilt ihn das erste Unglück. Die Geburt seines jüngsten Sohnes: Menuchim (Alexander Khuon) hat eine starke, offenbar geistige sowie körperliche, Behinderung. Und auch wenn ihn die Eltern zu lieben scheinen, empfinden sie ihn als Qual. Auch die Geschwister leiden zunehmend darunter, dass Menuchims Existenz das gesamte Familienleben überschattet.

Erst als Mutter Deborah vom Rabbi erfährt, dass ihr Sohn eines Tags „geheilt“ werden wird, schöpft sie neue Kraft, ihr Schicksal zu tragen. Vater Singer verzweifelt unter dessen an seinen älteren drei Kindern. Tochter Mirjam (Lisa Hrdina) treibt sich mit fremden Männern herum, der ältere Sohn, Jonas (Edgar Eckert) geht zur Armee und der jüngere, Schemarjah (Camill Jammal) in die USA. Das eine gefällt dem Vater nicht, da er um die Frömmigkeit seiner Kinder bangt, das Andere, da die USA ein fernes, fremdes Land sind. Doch von zunehmender Armut gezwungen, folgt Singer Schemarjah in die USA. Zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter bricht der alte Mann auf. Sohn Jonas bleibt bei der Armee, Menuchim wird für reiseuntauglich erklärt und zu Bekannten gebracht.

In New York angekommen verliert Singer zunächst alles, was ihm noch geblieben ist. Sein Sohn Schemarjah muss in den Krieg und fällt, seine Frau stirbt verbittert und seine Tochter verschwindet hinter den Toren einer psychiatrischen Anstalt. Und als er dann auch noch seinen Glauben zu verlieren droht, taucht sein zurückgelassener Sohn Menuchim aus der Heimat auf. Er ist vollständig von seiner Behinderung „erlöst“ beweist dem Vater damit, dass sich die Frömmigkeit bezahlt gemacht habe.

Quelle: YouTube

Der anfängliche Elan der Aufführung weicht leider noch vor Singers Emigration in die vereinigten Staaten einer eher zähen Mischung aus Schauspiel und Erzähltheater. Wurde zu Beginn des Stückes ein Streit zwischen den Geschwistern noch als Wasserschlacht, die in einer Schlägerei mit PET-Flaschen mündet, dargestellt, nimmt diese Kreativität im Verlauf des Stückes stetig ab. Nach zwei Dritteln scheint sich ein festes System der Darstellung etabliert zu haben. Einer der Schauspielerinnen trägt den Text zu dem vor, was das Publikum grade sieht und der oder die anderen spielen, was grade vorgetragen wird. Die konsequente Verwendung dieses Mittels führt zu einer unüberwindbaren Distanz zwischen Protagonistinnen und Zuschauerinnen.

Nur durch die Kraft seiner Verzweiflung gelingt es Singer am Ende des Stückes, diesen Graben ein einziges Mal zu überbrücken. Als er seinen Glauben und sein Leben völlig infrage stellt, werden Wut, Verzweiflung und Lebensüberdruss spürbar. Zuvor schien ein unsichtbarer, alles dämpfender Vorhang zwischen Bühne und Publikum zu hängen. Ein solches fast unsichtbares Element gibt es tatsächlich. Es ist eine semipermeable Fläche. Sie befindet sich allerdings hinter den Darsteller*innen und hat drei Funktionen und einen Effekt. Wird sie direkt beleuchtet, dient sie als schwarzer Hintergrund, vom Projektor angestrahlt als Projektionsfläche und von hinten beleuchtet gibt sie den Blick auf den zweiten Teil der Bühne frei. Hier finden all die Szenen statt, die Träume, Wünsche und Hoffnungen der Figuren betreffen. Der Effekt dieser halbdurchlässigen Wand ist, das oft plakative Spiel vor ihr zu verfremden und für die sehnlich erwartete Irritation zu sorgen.

Doch es bleibt der Eindruck, dass die Energie der Schauspieler*innen nicht ausreicht, sich Roths Text entgegen zu stellen. Lenks Gehorsam gegenüber Roth findet seinen Höhepunkt darin, dass auch im Theater des 21. Jahrhunderts in Berlin ein Kind mit einer Behinderung völlig unhinterfragt als „Strafe Gottes“ dargestellt wird. Eine kritische Reflexion des Textes hätte sich dieser Frage annehmen können. Auch die Chance, den Aspekt der Auswanderung auf die derzeitige weltpolitische Situation zu übertragen, blieb leider ungenutzt.

Schauspieler*innen:

Bernd Moss (Mendel Singer), Almut Zilcher (Deborah, seine Frau), Edgar Eckert
(Jonas, sein Sohn), Camill Jammal (Schemarjah, sein Sohn), Lisa Hrdina (Mirjam, seine Tochter), Alexander Khuon (Menuchim, sein Sohn)

Regie: Anne Lenk, Bühne: Halina Kratochwil, Kostüme: Silja Landsberg, Musik: Leo Schmidthals, Video: Clemens Walter, Dramaturgie: Sonja Anders

Titelbild: © Arno Declair

Wie diskutiert man mit Zombies?

Zombies erobern die Schaubühne. Von starken Bildern und Klängen begleitet sprechen, tanzen und schreien acht Schauspieler٭innen das Grauen der Rechtspopulist٭innen Deutschlands. FEAR illustriert diese Angst in einer Kollage aus Medienbeiträgen, Bürgerbefragungen und Parteiprogrammen.


Längst hatte man sie tot geglaubt. Die, die gegen Menschenwürde und Gleichberechtigung in Europa anschreien. Doch sie sind es nicht. In seiner Uraufführung von FEAR stellt Falk Richter die Frage nach der Angst. Angst vor dem Fremden, Angst um die vermeintlich eigene Identität und Angst vor Veränderungen und der Zukunft im Allgemeinen, die sich zur Panik steigert. Sie spiegelt sich in den Gesichtern der Beatrix von Storch, der Beate Zschäpe, der Frauke Petry und weiterer Gleichgesinnter. Portraitiert werden sie als Anführer٭innen einer Zombie-Armee aus perspektivlosen und menschenfeindlichen Bürger٭innen. Diese schwadronieren unentwegt von einem „Deutschland“, das sich verändere. Das entfremdet werde. Das zu retten sei.

Während sich in Zeitungsfetzen und Lumpen gekleidete Schauspieler٭innen über den Bühnenboden wälzen und immer unverständlichere Parolen der Fremdenfeindlichkeit ausstoßen, schwillt unerträglicher Lärm aus großvolumigen Boxen am Bühnenrand. Das sich unaufhörlich steigernde Spektakel wird durch eine Videoinstallation im Bühnenhintergrund vervollständigt. Gezeigt werden, in rasender Folge, Bilder von deutschen Landschaften, Hobbyornithologen und aus Matsch emporsteigende Zombiefiguren.

Und plötzlich: Stopp!

Musik und Video brechen ab und die Zombie-Menge verschwindet von der Bühne. Einzig ein wohlgekleideter Mann bleibt zurück. Er schildert in gesetzter Sprache, wie es dazu kommen konnte, dass längst überkommen geglaubte Ideologien wieder salonfähig werden.

Dieses Wechselspiel zwischen intensiv ausgespielten, von Video- und Audioinstallationen unterstützen Szenen und anschließenden behutsam gezeichneten Gesellschaftsbildern begleitet den Zuschauer durch das zweistündige Stück. Immer wieder bahnen sich die „Zombies“ ihren Weg und immer wieder entsteht die Frage: Wie kann man gegen Totgeglaubtes kämpfen? Diese Totgeglaubten lässt Richter für sich selbst sprechen. Indem er die Zuschauer٭innen mit Originaltönen aus Medienberichten konfrontiert, stellt er immer wieder eine Frage: Wie geht man mit diesen Menschen um? Sind es die Flucht in eine Art Biedermeiertum, die studentische Revolte, die passenderweise in einem Glaskasten auf der Bühne stattfindet, oder gar Gewalt eine Antwort?

Quelle: YouTube

Acht Schauspieler٭innen weben ein dichtes Netz aus Tanz, Gesang, Geschrei und Gespräch, auf dem sie sich mit beeindruckender Energie bewegen, in dessen Maschen sie sich allerdings auch verfangen. Keiner von ihnen spielt nur eine bestimmte Rolle. Alle sind sie mal Hassprediger٭innen, mal wütende Bürger٭innen und mal ratlose Betrachter٭innen. So gibt es Szenen, für das Publikum schwer zugänglich sind und im letzten Drittel des Stückes nur noch dadurch aufgefangen werden, dass die Schauspieler٭innen anfangen miteinander zu spielen. Auf diese Weise wird in letzter Minute auch noch die Ebene der Improvisation eingezogen. Inwieweit eine solche Wendung nach eineinhalb Stunden noch mitvollzogen werden kann, bleibt jedem selbst überlassen. Was bleibt, ist: FEAR ist ein beeindruckendes Stück, das seinem Namen alle Ehre macht. Zu begreifen, dass die Zombies der Menschenverachtung mitten unter uns sind, ängstigt. Dies zeigt das Stück, ohne erhobenen Zeigefinger und ohne Relativismus. Ohne geheucheltes Verständnis für sogenannte „besorgte Bürger٭innen“ stellt es dem Publikum eine grundlegende Frage.

Wollen wir (wieder) in einer Welt leben, in der Menschen in Kategorien eingeordnet werden? Da die Antwort auf diese Frage klar und deutlich ausfallen muss, verzeiht man dem Stück gerne seine teilweise plakativen Darstellungen. Alles in allem regen Bernardo Arias Porras, Denis Kuhnert, Lise Risom Olsen, Kay Bartholomäus Schulze, Alina Stiegler, Tilman Strauß, Frank Willens und Jakob Yaw zu gesellschaftskritischen und klaren Überlegungen an, ohne das Publikum zu bevormunden.

Titelbild: Arno Declair

Aufbruch in eine neue Welt – wirklich?

Für welche Ideale kämpfen wir gegen unsere Herkunft? Diese Frage stellt „Väter und Söhne“ im Deutschen Theater Berlin dem Publikum – schonungslos, denn es sitzt fast auf der Bühne.


Wahrscheinlich jedem, der einmal den Ort, an dem er aufwuchs, verließ, wird dieses Gefühl vertraut sein: Man kommt zurück und alles ist kleiner und irgendwie verkrustet.  Man selbst ist erwachsen. Erwachsen aus den Erfahrungen und beflügelt von den neuen Eindrücken und Erkenntnissen der Fremde. Mit diesen Flügeln schwingt man sich empor und betrachtet die Menschen, die man zurück gelassen hat, von oben. Aus dieser Perspektive sehen sie klein aus und je weiter man sich von ihnen entfernt, desto weniger sind einem ihre Bewegungen erkennbar. Manchmal scheint es fast unklar, ob sich überhaupt noch etwas bewegt.

Als scheinbar ein anderer tritt man zurück in die Reihen derer, die einen großen Teil dessen ausmachen, der man heute ist. Doch all ihre Weisen zu denken sind fremd geworden. Sie scheinen ein gänzlich anderes Leben mit anderen Erwartungen für sich gewählt zu haben, während man selbst doch in der Fremde endlich gelernt hat, worauf es wirklich ankommt. Indes, die ultimative Erkenntnis, die man mit nach Hause zu bringen glaubt, interessiert zu Hause kaum jemanden. Fast ist es so, als hätte man während der Abwesenheit die Sprache seiner Heimat verlernt. Und anstatt sich zu mühen, sich verständlich zu machen, reagiert man mit Ungeduld. Ungeduld über die Unverständigkeit und Unverständlichkeit des eigenen Ursprungs.

Wie neu sind die neuen Gedanken der nächsten Generation wirklich? Die Aktualität dieses Generationenkonflikts bringen Daniela Löffner und David Heiligers in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin auf die Bühne, indem sie zwei junge Männer, Arkadij Nikolajitsch Kirsanow  (Marcel Kohler) und Jewgenij Wasiljew Bazarow (Alexander Khuon) in ihre Elternhäuser zurückkehren lassen. Zuerst in Arkadijs und dann in Jewgenijs Heimat. Im Gepäck haben sie gänzlich neue Ansichten über die Welt und jeden einzelnen Menschen, der auf ihr lebt. Von Jewgenij als älterem und wortgewaltigen Freund unterstützt, bezeichnet sich auch Arkadij stolz als „Nihilist“ und ist bereit alles abzulehnen, an das sein Vater (Helmut Mooshammer) und sein Onkel (Oliver Stokowski), bei denen er aufwuchs,  glauben. Während Jewgenij mit ihm diskutiert und sich über die scheinbar zurückgebliebene Familie erhebt, mischt sich in Arkadijs Gefühlswelt die Solidarität zu seinem Ursprung. Als der weniger rationale, dafür aber emotionalere Mensch, scheint er die Sprache seiner Heimat noch nicht gänzlich verlernt zu haben. Und auch wenn sein Freund Jewgenij nicht müde wird, ihm diese Emotionalität als Schwäche auszulegen, wird sie zu seiner Stärke. Er ist es, der beim Besuch der von ihrem Sohn völlig verunsicherten Eltern Jewgenijs (Bernd Stempel  & Katrin Klein), vermittelt.

Während Jewgenij jeden, ob in der eigenen oder in der Generation seiner Eltern, mit Rhetorik und Arroganz, von seiner neuen Weltanschauung zu überzeugen versucht, die im Wesentlichen aus Ablehnung all dessen besteht, was bisher gegolten hatte, vermittelt Arkadij zwischen den Fronten. Indes ist es nicht Jewgenijs diplomatisches Geschick allein, dass es den beiden Fremdgewordenen ermöglicht, einen neuen Bezug zu ihrer Heimat aufzubauen. Es ist der Versuch, sich zweier Frauen aus ihrer Heimat zu öffnen, der die beiden dazu bringt, ihre neue, hochgelobte Weltanschauung zu überdenken.

Dreizehn stark gespielten Charaktere führen den Zuschauer in eine vergangene Welt voller aktueller Probleme. Leben Jung und Alt heutzutage nicht noch stärker in getrennten Welten, in denen sie verschieden Sprachen zu sprechen scheinen? In einer fast vierstündigen Inszenierung des über 150 Jahre alten Textes von Iwan Turgenjew zeichnet sich ein präzises Bild des (ewigen) Generationenkonflikts, dessen Vielschichtigkeit nicht zuletzt in den angespannten Gesichtern der SchauspielerInnen, die gleichsam eine Rolle in ihrer Rolle zu spielen scheinen, zum Ausdruck kommt.

Titelbild: © Arno Declair

Der Wodka-Käfer. Die einzige Konstante Prenzlauer Bergs?

Im Deutschen Theater erzählt Anne Jelena Schulte acht Geschichten von Lebensträumen bis Gentrifizierungsangst, alle im Mikrokosmos eines Berliner Mietshauses.


Acht verschiedene Wohnungen – acht verschiedene Geschichten in acht verschiedenen Welten. Davon handelt das Theaterstück Wodka Käfer, das auf Grundlage der Recherchen von Anna Jelena Schulte entstanden ist. Sie klingelte, wie bereits Irina Liebmann in den 1980er Jahren, an den Haustüren eines einzigen Berliner Miethauses und ließ sich von den zufällig öffnenden Personen erzählen, was diese erzählen wollten. Vom alleinerziehende Vater, der zu alt für den Berliner Arbeitsmarkt ist, über die quirlige Start-Up-Managerin, die kaum eine halbe Minute still sitzen kann bis hin zum schwäbischen Architektenpärchen dringt der Zuschauer mit ihr in die unterschiedlichsten Leben ein. Erzählt wird der fremden Frau, die in den Küchen und Wohnzimmern steht, aber längst nicht nur Alltägliches. Die Geschichten handeln von Sorgen und Nöten, von Träumen und davon, was verpasst wurde. Auch wenn viele Personen in lauten Klischees dargestellt wurden – sich zum Beispiel das schwäbische, gutverdienende Pärchen natürlich für eine Spielstraße und die ehemalige Hausbesetzerin natürlich dagegen einsetzt – berührt jede der Geschichten. Ohne voyeuristisch zu sein, schafft es die Autorin, jede Person auf eine intime Weise darzustellen. Jedem Traum, jeder zarten Hoffnung an die Zukunft und jedem Unwohlsein über die zunehmende Gentrifizierung Berlins wird Raum auf der Bühne gegeben.

Die Brücke zur Vergangenheit des Mietshauses, das all diese Mikrokosmen beherbergt, wird durch einen alten Kammerjäger geschlagen. Dieser erzählt – auf eine etwas schrullige Weise – wie er schon vor Jahrzehnten die Ratten und Käfer im Viertel bekämpft hat, und nimmt den Zuschauer damit auf eine Reise in die Vergangenheit mit. Er beschreibt, wie sich die Gegend und die Bewohner über die Jahre änderten und wie ihm die Menschen in den Häusern fremder und die Käfer vertrauter wurden. Seine größte Faszination gilt dem Wodka-Käfer. Während er von den Leichen in den Wohnungen, die er reinigt, erzählt und detailliert beschreibt, welche Maßnahmen bei welchem Ungeziefer anzuwenden sind, wird klar, dass all diese Menschen nicht für immer und ewig in ihren Wohnungen leben werden, sondern die Wohnungen nur eine Hülle sind. Eine Hülle, die man zwar öffnen kann, um hinein zu sehen, die aber eigentlich unabhängig davon ist, was sie umhüllt.

Michael Gerber, Gabriele Heinz, Barbara Schnitzler, Olivia Gräser und Jonas Vietzke spielen, begleitet durch die Musik von Ingo Schröder, all diese Geschichten auf eine laute, extrovertierte, aber auch gleichzeitig nachdenklichen Art, die den Zuschauer mit vielen Fragen an das eigene Leben zurück lässt: Welche Hoffnungen und Träume habe ich eigentlich? Ist es schon zu spät, diese in die Tat umzusetzen? Kann es in Ordnung sein, sich angesichts der momentanen politischen Lage ins Privatleben zurück zu ziehen? Wie fühlt es sich an, wenn man realisiert, dass sich die eigenen Freunde schon lange von einem entfernt haben, und muss man die Tagesschau auch gucken, wenn sie einem Angst macht?

 

Beitragsbild: Deutsches Theater Presseabteilung