Wie schaffen es Geschichten, die vor über 2000 Jahren spielen, eigentlich, uns so viel über die Gegenwart zu verraten? Der neue Asterix-Comic Der Papyrus des Cäsar gibt Antwort.
Große Ereignisse werfen ihre Schatten ja bekanntlich voraus. Nun wurden Asterix-Comics, diese kleinen, cleveren guilty pleasures des Feuilletons und die Highlights vieler WG-Toiletten, ja immer medial begleitet. Aber im Vorfeld der Veröffentlichung des neuen Bandes Der Papyrus des Cäsar (das Titelbild zeigt einen Ausschnitt) wurden ungekannte Geschütze aufgefahren. Mit einer eigenen Briefmarkenserie der Deutschen Post und einer 10-Euro-Sonderprägung werden Asterix und Obelix offiziell zu Kulturgütern erhoben. Dafür gibt es gute Gründe, aber trotzdem war diese Stellung in den letzten Jahren durchaus in Gefahr.
Denn wofür steht Asterix? Ein aktuelles Thema wird in ein wohlbekanntes Setting zu Lebzeiten Cäsars im fast vollständig von Rom besetzten Gallien übertragen. Immer wieder wird von außen die Ruhe eines wohlbekannten, kleinen, unabhängigen Dorfs mit seinen eckigen Charakteren gestört, das eigentlich genug interne Probleme hätte, um ganze Bücher zu füllen. Und immer wieder sind es Asterix, Obelix und Idefix, die sich unter Anleitung eines alten Druiden gerne jeder Abwechslung annehmen. Die Stärken der Comics liegen vor allem in einer detaillierten Betrachtung und Übertragung kultureller Phänomene in eine sympathische Parallelwelt. Asterix ist liebevolle Satire, immer politisch, aber nie zu erwachsen. Daher verwundert es auch nicht, dass Asterix-Zeichner und -Miterfinder Albert Uderzo eines der stärksten Bilder in der Aufarbeitung der Pariser Terroranschläge im Januar lieferte:
— @asterixofficiel (@asterixofficiel) January 8, 2015
Quelle: Twitter
Wenn Asterix und Obelix trauern und Idefix nicht einmal hinsehen kann, begreift auch der Letzte, dass etwas Schreckliches passiert ist, das zwar kein Wort, aber ein Bild findet.
Einen eigenen Trauerfall hatte die Asterix-Welt mit dem Versterben René Goscinnys, der die gallische Comicwelt gemeinsam mit Uderzo entworfen und die ersten 24 Bände geschrieben hatte. Von ihm stammten die klassischen Geschichten wie Asterix und Kleopatra, Der Kampf der Häuptlinge, Der Seher oder seine berühmten Reisegeschichten. Er entwickelte sämtliche Hauptcharaktere des Dorfs von Automatix bis Gutemine. Mit seinem Tod im Jahr 1977 verschwand auch sein scharfer, melancholischer Blick auf die Kultur aus den Comics. Zeichner Uderzo übernahm zunächst allein und produzierte über 30 Jahre hinweg Comics aus eigenen Geschichten. In diesen Büchern, die großteils mit der Widmung „Für René“ versehen sind, ließ er nie Zweifel daran, dass Goscinny fehlte. Nach und nach schien Uderzo jedoch den Blick für das Wesentliche der Comics zu verlieren.
Uderzos Einzelwerke leben weniger durch mehrdimensionale Geschichten und sind vor allem auf gewaltige Bilder ausgerichtet – wie der Band Obelix auf Kreuzfahrt, in dem die Besatzung eines gemeuterten Sklavenschiffs eine mythenhafte Insel bereist und einige Bildseiten als surrealistische Kompositionen einen künstlerischen Eigenwert entwickeln. Die Geschichte dazu ist, bei allem Respekt, allerdings teilweise sehr albern und eben im wahrsten Sinne des Wortes überzeichnet. Drastischer wird dies noch in Asterix und Latraviata, das mitunter unkreativ und sperrig ist. Später konzentrierte Uderzo sich auf Spezialausgaben wie den Band Wie Obelix als Kind in den Zaubertrank geplumpst ist, die vor allem als Ausschlachtungen alter Ideen wahrgenommen wurden. Hinzu kam eine immer modernere Kolorierung, die den Wiedererkennungswert gefährdete und die sympathische Bescheidenheit der gallischen Gemüter bedrängte.
Als 2014 mit Asterix bei den Pikten erstmals ein Band ohne Beteiligung Uderzos erschien, erfuhren die beiden neuen Schöpfer Jean-Yves Ferri (Autor) und Didier Conrad (Zeichner) in der Presse viel positive Resonanz. Kritiken verfielen dem Tenor, die beiden seien auf die klassischen Stärken der Comics zurückgekommen und würden nahtlos an die großen Asterix-Reisegeschichten der 60er-Jahre (Asterix bei den Spaniern, Asterix bei den Gothen, Asterix bei den Belgiern, …) anknüpfen. Ferri und Conrad hätten es sich, einmal so weit gekommen, in dieser Tradition bequem machen können, aber mit ihrem neuen Werk beweisen sie Mut. Denn in Der Papyrus des Cäsar wollen sie zu den großen Themen unserer Zeit und wagen sich an Big Data und Whistleblowing. Damit begeben sie sich in die Gefahr, an das Spätwerk Uderzos anzuknüpfen, dessen großes Problem wohl im Kern darin bestand, dass die Kulturbezüge, die er abbilden wollte, immer entweder für seine Leserinnen oder die Welt um Asterix keine Relevanz hatten. Und Big Data und das besetzte Gallien zu Zeiten der Römischen Republik scheinen füreinander kaum Bedeutung zu haben.
Aber zumindest ist das Thema für uns aktuell. Und wenn man genauer hinsieht, ergeben ein asylsuchender Whistleblower im gallischen Dorf und ein Herrscher, der eben dieses gallische Dorf lieber aus seiner Kriegschronik De bello Gallico streichen und Dokumente verschwinden lassen möchte, durchaus Sinn. Eine Übersetzung von digitalen Kurznachrichtendiensten mit Tauben und Eichhörnchen wirkt dagegen wie ein extern konstruierter Fremdkörper der gallischen Antike, der vor allem mal wieder daran erinnert, dass es sich bei dem Ganzen wohl auch um Kindergeschichten handeln soll. Aber es gibt auch abstraktere Übertragungen wie die eines geschützten Servers, die das Ganze interessant machen und teilweise erstaunlich gut funktionieren. Wirklich mutig sind Ferri und Conrad aber vor allem zum Ende des Bandes hin, denn so viel sei noch verraten: Der Comic schließt, anders als diese Rezension, nicht mit dem bekannten Friede-Freude-Wildschwein-Bankett als letztem Bild ab. Ein Grund mehr also, ihn zu lesen.
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