Lyophilia ist ein zähes, schwer lesbares und stellenweise ganz wunderbares Buch. Der Suhrkamp-Verlag, der die Bücher der österreicherischen Autorin verlegt, nennt es Science-Fiction auf Hegelbasis. Das meint wahrscheinlich, dass das Buch dialektisch angelegt sei. Tatsächlich besteht Lyophilia hauptsächlich aus zwei längeren Erzählungen, die sich antithetisch gegenüberstehen. In der Erzählung „Proteus“ geht es um eine Dreiecksbeziehung des Musikers Zladko zur slowenischen Politikerin Ganja und ihrem Sohn Igor. Die Geschichte ist in einer nahen Zukunft angesiedelt in der es Sex-Roboter gibt, aber die Menschen noch auf der Erde leben.
Diese Zukunft hat die bekannten Fragen und Probleme der Gegenwart zugespitzt: „Die Unruhigen übertünchen ihre krankhafte Unruhe, indem sie die Ziele ihres Strebens mit den Vorschlägen der Werbung streamlinen. Der Werbung oder ihrer Eheleute. Die können genauso wenig wie ich Ordnung schaffen und in der Sonne liegen, aber ihr Chaos und ihre Unruhe wird in Anzüge, Villen, automatische Autos oder gedankenabwesende Kinderbetreuung gespeist.“
Zladko, der Ich-Erzähler in „Proteus“ spielt Saxofon in einer Band, deren größter Hit „Lyophilia“ heißt. Das Wort bezeichnet die Gefriertrocknung und ist eine Möglichkeit Körper für die Ewigkeit zu konservieren. In der Erzählung „Proteus“ spielt dieses Prinzip kaum eine Rolle, dafür in der zweiten längeren Geschichte „Mitteilungen vom Planeten Amore [KAFUN]“. Die Protagonist٭innen leben auf einer weit entfernten Kolonie, die sie durch eine Zeitreise erreicht haben. Für diese Zeitreise wurde ihr Geist gefriergetrocknet – lyophilisiert.
Diese Erzählung ist deutlich hermetischer. Verschiedene Protagonist٭innen einer Gruppe von Siedler٭innen des Planeten Amore [KAFUN] berichten von ihrem Leben auf diesem Planeten und ihren Beziehungen untereinander. Jetzt fährt Ann Cotten das komplette Science Fiction-Arsenal auf: ferne Planeten, Zeitreisen, Klonen. Die Haupterzählerin nimmt ihren Lebenspartner „Emile“ nur im Plural wahr. Dadurch entstehen Sätze wie: „Emile rollen, bleiben auf den Rücken liegen, die Knie verlangsamt wie bei einer nachdenklichen Spinne. Er scheinen zu überlegen, ob er weiterrollen sollen oder wollen, picken sich einen Grashalm vom Pullover. Rollen plötzlich wieder los, aber fast zitternd vor Unentschiedenheit.“
Solche Einfälle machen Lyophilia zu einem interessanten Prosawerk. Frustrierend sind dagegen die zahlreichen anderen Einfällen, die sich zwischen den Zeilen andeuten. Teilweise sind sie in den begleitenden kürzeren Texten versteckt. Eine dieser Theorien ist, dass die Außerirdischen den Menschen das Sprechen beigebracht haben. Doch wahrscheinlich haben die meisten Leser٭innen frustriert von zu viel Verrätselung aufgegeben, bis sie sich diese Konstrukte erschlossen haben. Zudem konnte Ann Cotten der postmodernen Versuchung nicht widerstehen, aus Lyophilia ein Buch über das Erzählen selbst zu machen. Die Figuren in „Mitteilungen vom Planeten Amore [KAFUN]“ gründen zum Beispiel einen Literaturclub. Ob sie dort Lyophilia lesen würden, ist unwahrscheinlich. Damit entgehen ihnen einige interessante Einfälle, aber sie ersparen sich eine Menge Frust.
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