Die Musik der Bremer Band bewegt sich zwischen Punk und Emo, sie singen auf deutsch und touren am liebsten durch AZs. Auf einer Kassette stellen sie sich vor, bald folgt das Debütalbum auf Vinyl. Postmondän und Postford trafen stilecht in der Rigaer Straße aufeinander, um sich über Politik, analoge Medien und die Renaissance eines Genres zu unterhalten, das nie weg war.
Da alle Beteiligten Verspätung hatten, fiel das Gespräch halb in den Aufbau ihres gemeinsamen Konzerts mit Static Means im Fischladen, weshalb nicht zu jedem Zeitpunkt alle Bandmitglieder anwesend waren. Immerhin kamen alle zu Wort. Wenn man hinsieht.
Wer seid ihr eigentlich und was macht ihr so?
Roberta: Wir sind Postford und sind zu viert: Jacob spielt Bass, Holger spielt Schlagzeug, Nils und ich spielen Gitarre. Jacob, Nils und ich teilen uns den Gesang.
Was hat es mit dem Bandnamen auf sich?
Jacob: Postford ist hergeleitet von der nicht mehr ganz aktuellen Produktionsweise des Postfordismus. Im Fordismus ging es um Fließbandarbeit, klar abgesteckte Arbeitsabläufe und Vorgaben, was jede einzelne Arbeiterin und jeder einzelne Arbeiter zu tun hat. Der Postfordismus dagegen baut auf Selbstbestimmung und Einbringung des Selbst in Produktionsvorgänge. Und uns geht es eben auch um das Negative daran: die Entgrenzung von Arbeit – keinen Feierabend mehr zu haben, wirklich mit Leib und Seele dabei sein zu müssen, seine gesamte Persönlichkeit einbringen zu müssen, also sich mit der ganzen Arbeit identifizieren zu müssen.
Nils: Im Postfordismus ist ja auch das Ding, dass du dich die ganze Zeit selbst optimieren musst, um irgendwie hineinzupassen. Du wirst ständig auf dich als Individuum zurückgeworfen. Wenn du’s nicht bringst, dann bist du halt am Arsch. Viel zum Sport gehen, um dann auch wieder schick zur Arbeit laufen zu können und wenig Bier trinken.
Und wie kam es zur Bandgründung?
Jacob: Roberta und Nils haben vorher in der Band van Beek gespielt. Ich hab die irgendwann mal live gesehen und als der damalige Bassist ausgestiegen ist, bin ich über eine Anzeige bei Facebook dazugestoßen. Postford ist dann das direkte Nachfolgeprojekt geworden. Wir haben noch ein Konzert als van Beek zusammen gespielt, bevor das auseinanderging, und uns dann entschieden, mit einem neuen Schlagzeuger alles neu zu machen. Komplett neue Songs, neuer Name: eine komplett neue Band mit ein paar personellen Überschneidungen.
Einfach, weil ihr zu der Zeit einfach Lust auf etwas Neues hattet?
Nils: Ja, weil es an dem Punkt, an dem wir damals standen, für uns total logisch und sinnvoll war. Es war, wenn wir jetzt auf die letzten Monate zurückblicken, auch auf jeden Fall die richtige Entscheidung, persönlich wie musikalisch.
Und was würdet ihr sagen, macht ihr für Musik?
Jacob: Ich würde am ehesten sagen “Emo-Punk” passt ganz gut.
Roberta: Ja, schon.
Jacob: Es hat etwas Melancholisches, etwas Kühles dabei.
Holger (besorgt): Habt ihr alle etwas zu trinken?
Jacob: Aber wie der Begriff Anfang der 2000er benutzt wurde, hat mit unserer Musik natürlich nichts zu tun.
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Eure Texte reichen auch nicht unbedingt in den Emo hinein?
Jacob: Sie sind schon persönlich.
Aber es gibt nicht die klassische Emo-Selbstmord-Romantik, oder?
Roberta: Nein.
Jacob: Es geht eher um Alltäglichkeiten, das, was man so erlebt, was einen so umgibt, ob das nun politische Sachen sind, die teilweise auch sehr direkt bei uns vorkommen, oder auch die Kämpfe, die man so im Privaten führt.
Nils: Unser Demo, das als Tape erschienen ist, spiegelt das vielleicht noch nicht so ganz wider, aber auf unserem anstehenden Album wird das deutlicher. Es gibt viele Texte, die wirklich persönliche Geschichten erzählen, die zwar kryptisch sind, aber vielmehr aus einer persönlichen Erfahrung resultieren, als bspw. Deutschland politisch zu kritisieren.
Roberta: Aber diese persönliche Sichtweise ist auch immer sowieso politisch, weil wir alle politische Menschen sind und dann ist es sowieso bereits politisiert. Alltag ist ja auch politisch.
In Bezug auf gesellschaftliche Zwänge wie den Postfordismus?
Jacob: Auch das. Es geht auch immer darum, die Gesellschaft zu beobachten und festzustellen, dass man gerade nicht reinpasst, aber eben auch nicht immer reinpassen will. Dass viele Zwänge unserer heutigen Welt einfach zum Kotzen sind, ob die nun etwas mit Geschlechtern zu tun haben oder damit, funktionieren zu müssen. Das spielt für uns eine große Rolle.
Und gibt es für euch musikalische Vorbilder?
Roberta: Vorbilder nicht, aber sicherlich Einflüsse. Die hat man ja immer.
Welche sind das?
Nils: Unterschiedliche, würde ich sagen.
Roberta: Aber diese Schule um Dackelblut oder Oma Hans hört man auf jeden Fall heraus.
Jacob: Genau, diese Jens-Rachut-Schule um Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle, Kommando Sonnenmilch oder Alte Sau.
Also die Deutschpunk-Richtung?
Jacob: Ja, aber eben auch wirklich diese, wie wir es nennen, Nordseepunk- oder Hamburg-Punk-Richtung. Oft werden wir auch mit Turbostaat verglichen. Das sagen wir ungern.
Warum?
Jacob: Weil das so ein typischer Reflex ist, wenn Leute Musik mit deutschen Texten machen, gleich zu sagen, das ist jetzt Turbostaat-mäßige Musik.
Weil man damit die sonstige Szene nicht wertschätzt?
Jacob: Nein, einfach auch die Diversität, weil wir schon einfach ganz andere Musik machen. Wir klingen auf jeden Fall ein bisschen härter, würd’ ich sagen.
Roberta: Ja, ist schon anders auf jeden Fall.
Nils: Ja, wir finden die privat halt ziemlich gut – außer Holger vielleicht – aber ich weiß gar nicht, ob das so stark da mit hineingespielt hat. Vielleicht spielt es eher dort hinein, wie ich jetzt zum Beispiel Texte schreibe, aber weniger, wie das Paket der Musik letztendlich ist.
Stimmt, ihr habt teilweise auch sehr fragmentarische Texte, was Turbostaat stark mitgeprägt haben, oder?
Nils: Ich hab das Gefühl, dass ich gerade am Anfang der Band Texte geschrieben habe, die deutlicher waren, als alles, was ich jemals geschrieben hab.
Ich meine Textstellen wie diese im Song Indikator OK. Da singt ihr: “sei zufrieden // streng dich an // für jeden nur ein Kreuz // bleib ruhig // könnte schlechter sein // und bald ist ja WM”.
Jacob: Ja, Nils hat das geschrieben und ich spreche das in dem Song. Für mich ist das auch eher gegen den Zwang, sich anzupassen. Also wirklich in Richtung: “Du bekommst deinen Anteil und bald hast du wieder schön etwas, um dich und dein Land zu feiern.”
Das klingt ja alles so nach Phrasen aus dem Medienapparat, die auf das Individuum bzw. euch wirken.
Jacob: Das ist ein sehr ironisch gemeinter Aufruf, was man halt so hört, was man lesen kann, wie man wieder klarkommen soll: dass man schön die Füße stillhalten und nicht zu sehr auffallen soll.
Sind solche Texte für euch dann eher literarische Ausdrücke oder politische?
Jacob: Selbst wenn wir einen persönlichen Text schreiben, geht das Politische eh nie weg.
Roberta: Das Politische zieht sich bei uns durch wie ein roter Faden.
Aber würdet ihr dann sagen, dass ihr es zu Kunst macht?
Roberta: Kunst ist eine schwierige Angelegenheit.
Jacob: Nicht gewollt. Wir machen das Ganze nicht, um Kunst zu machen. Wir stellen uns einfach zu viert in den Proberaum, irgendjemand bringt eine Idee mit, es wird ein Instrumental entwickelt und am Ende setzt sich entweder Roberta oder Nils zu Hause hin und schreibt, was ihr oder ihm dazu einfällt. Das ist oftmals eher aus der Situation geboren. Viele Dinge, die einem sowieso schon länger im Kopf schwirren, werden aufgeschnappt und zu Texten verarbeitet.
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Eure Texte ergeben sich, finde ich, zu einem ziemlich erdrückenden Ganzen.
Nils: Also wenn wir im Proberaum dieses Songgerüst haben, fallen mir oft Melodielinien mit zwei, drei Versatzstücken an Worten ein. Tatsächlich habe ich nicht den Plan, einen Song darüber zu schreiben, wie blöd das zurzeit in Deutschland läuft. Das ist dann in meinem Hinterkopf gerade so drin, weil ja gerade viele Refugee-Heime angezündet werden und die sogenannte Mitte durchdreht. Aber ich gehe nicht an einen Song heran und sage, ich möchte jetzt genau das schreiben, sondern das ist eher ein organischer Prozess. Ich bin auch weit davon entfernt, zu sagen, dass das was ich jetzt schreibe, irgendwas mit Lyrik oder Kunst zu tun hat, sondern es ist einfach nur Ausdruck dessen, was so gerade in meinem Kopf abgeht.
Auf jeden Fall ist eure Arbeitsweise, gemessen am Ergebnis, sehr produktiv. Ich wollte mit euch auch noch über den Deutschpunk generell sprechen, weil ich das Gefühl habe, dass ihr da Experten seid. Habt ihr das Gefühl, dass das Genre in den letzten Jahren attraktiver geworden ist?
Roberta: Es kommt drauf an, wie man Deutschpunk definiert.
Jacob: Ich glaube schon, dass es dafür im Moment einen gewissen Markt gibt. Was man aber auch nie vergessen darf, ist, dass durch Social Media, sei es bei Facebook, Twitter oder Instagram, die Sichtbarkeit einfach exorbitant erhöht wurde.
… was ja auch ein Anreiz für junge Bands sein kann, oder?
Jacob: Weiß ich nicht. Das kann ich schwer sagen, denn ich glaube, die meisten Bands machen das nicht, weil sie groß werden wollen, sondern weil es einfach das ist, was sie mögen, und vielleicht auch einfach das, was sie können. Zum Beispiel wir machen die Musik, die wir machen, weil wir Sachen ausprobiert haben und gemerkt haben: Das ist jetzt das, was bei uns Vieren funktioniert. Es war weniger geplant, sondern ist einfach passiert.
Roberta: Es war das, was uns am meisten Spaß macht.
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Nils: Wir sind da nicht mit dem Masterplan herangegangen, dass wir das machen wollen, was zurzeit funktioniert. Ich weiß auch gar nicht, ob es tatsächlich so gut funktioniert, denn in der Szene, in der wir uns bewegen, gibt es eben auch viel krasseres Zeug, Hardcore und Crust zum Beispiel. In Autonomen Zentren wie diesem ist die Musik jetzt gar nicht so das große Ding. Es war wirklich für uns einfach die Musik, auf die wir Bock hatten. Ich persönlich habe in meiner Sozialisation gar nicht so viel mit Punk zu tun gehabt, sondern habe dann irgendwann einfach sowas wie Turbostaat oder Dackelblut gehört und hab da gemerkt, dass man Punk auch mit etwas anderem verbinden kann. Es sind nicht nur die ganze Zeit plakative Schlachtrufe-Parolen wie “Bullenschweine”. Obwohl ich auch die Schlachtrufe-Sampler mittlerweile zu schätzen weiß.
Jacob: Nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass es für diesen deutschsprachigen Punk bereits eine unheimliche Bandbreite an Bands gibt, die das auf eine total geile Art und Weise machen. Und es gibt da verschiedenste Strömungen, die untereinander vielleicht persönlich miteinander zu tun haben, aber musikalisch in einen Topf geworfen werden, obwohl sie eben nicht in einen gehören. Wenn ich jetzt bspw. an Love A auf der einen und Freiburg auf der anderen Seite denke: Das sind völlig verschiedene Dinge.
Findet es dann dadurch zusammen, dass die Texte eine so starke Präsenz haben?
Jacob: Es ist eben immer noch auf eine Art und Weise Punk-Musik mit deutschen Texten, die sich bestimmter Sprachcodes bedienen, die das Ganze zu einer Sauce machen. Aber für mich sind das völlig unterschiedliche Dinge.
Weil du es eher musikalisch betrachtest?
Jacob: Musikalisch gesehen auf jeden Fall. Das find’ ich halt total geil, weil es dadurch einfach eine große Bandbreite an Dingen gibt, die da gerade so passieren. Das find’ ich gut.
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Und würdest du sagen, dass es in den letzten Jahren einen Zuwachs an diesen Sprachcodes gab, an denen man sich orientieren kann, und die den Zugang erleichtern?
Jacob: Nein, ich glaube, das ist wirklich so ein Facebook-Ding, dass das sichtbarer geworden ist. Denn genau die Texte, die da gerade so existieren und gesungen werden, gab’s ja auch schon so bei den Rachut-Bands, bei den Goldenen Zitronen oder 3000 Yen.
Nils: Auch schon bei Blumfeld.
Jacob: Genau, und Tocotronic, die ja auch schon aus der Szene kommen.
Aber würdet ihr nicht sagen, dass der Deutschpunk sich in den letzten Jahren mehr und mehr als Form etabliert, ernsthafte Anliegen musikalisch zu transportieren? Und dass immer mehr Leute das erkennen und bewusst annehmen? Zum Beispiel, um ein Fundament zu haben, der Pop-Schiene zu entgehen, in die man mit englischen Texten und Songs über Liebe eben schneller gerät, und dort von vornherein eben einen ernsthafteren Ausdruck hineinlegen kann?
Jacob: Das spielt schon eine große Rolle. Auf der anderen Seite ist das auch einfach so, dass Deutsch die Sprache ist, in der wir uns am besten ausdrücken können. Es gibt ja auch genug deutsche Bands, die auf Englisch politische Texte singen. Das heißt ja nicht gleich, dass man nur California-Punkrock – den unglaublich beschissenen – spielen muss. Ich glaube aber, dass die Entwicklung in den letzten Jahren schon viele dazu ermutigt hat, auf deutsch zu singen.
Nils: Ich weiß nicht, ob Punk jetzt die ernsthafteste Form ist, sich mit Themen auseinanderzusetzen. Denn es gibt auch Bands, die das auf eine sehr ironische Weise machen, was auch schlau sein kann. Affenmesserkampf zum Beispiel sind ja so dazwischen. Das würde ich nicht als Abgrenzung sehen, also es gibt auch ernsthafte Popmusik, die schlaue Texte hat.
Jacob: Midnight Oil zum Beispiel.
Nils: Ich würde Ernsthaftigkeit nicht pauschal der Musik zurechnen, die dann dahinter läuft, sondern eher dem, was die Leute dahinter repräsentieren und machen wollen.
Deutschland als Institution findet ihr ja jetzt nicht so toll, wenn man euren Song Kaltland (“Es ist deutsch in Kaltland”) so hört. Ist ein kritisches Moment gegenüber Deutschland schon im Begriff Deutschpunk ausgedrückt?
Jacob: Diese Textzeile zur WM, über die wir geredet haben, ist ein ironischer Aufruf. Nichtsdestotrotz ist es aber schon so, dass wir Deutschland alle beschissen finden. Überhaupt das Nationalstaatskonstrukt, der für Nationalismus und Rassismus eine konstituierende Rolle spielt, ist für uns abzulehnen. Die Geschichte spielt ja einfach auch eine große Rolle dabei, und das Gefühl, sich dem Nationalstaat Deutschland, der mit seiner Geschichte untrennbar verbunden ist, anhängig zu fühlen, ist für mich etwas Undenkbares.
Nils: Ja, oder Deutschland als Ideologie oder Wirtschaftsstandort, der gegen andere Staaten und Personen konkurriert. Und ich finde es absurd, genauso, dass so viele Leute, die von diesem ganzen Konstrukt überhaupt nicht profitieren, sich dann auf Sätze wie “Wir sind Exportweltmeister” oder “Wir sind Weltmeister” beziehen, obwohl es ihnen persönlich überhaupt gar nichts bringt. Aber sie schustern sich daraus so ein merkwürdiges Kollektiv zusammen oder es wird für sie zusammengeschustert, oder beides, was dann zu ziemlich widerlichen Sachen führt, wie wir ja gerade wieder sehen.
Jacob: Weil man das dann wieder verteidigen muss. Da kommen dann Eindringlinge von außen, verzweifelt, traumatisiert, aber gegen die muss man sich und sein Hab und Gut, das vielleicht auch aus Nichts besteht, dann verteidigen.
Wir führen dieses Interview ja gerade in einem der besetzten Häuser in der Rigaer Straße, die ja auch viel unverhoffte Medien- und vor allem Polizeipräsenz erfahren mussten. Wie wichtig sind denn solche Autonomen Zentren?
Jacob: Unfassbar wichtig. Und es ist immer schön zu sehen, wenn sich das dann am Ende, wie jetzt zum Beispiel mal wieder, durchsetzt. Ich meine, die Räumungen solcher Orte, die es auch dieses Jahr schon und in den ganzen letzten Jahren in dieser Gegend schon gegeben hat, sind einfach jedes Mal ein Stich ins Herz. Was hier möglich ist und auf die Beine gestellt wird, Orte, um zusammenzutreffen, um in Kontakt mit Menschen zu kommen, Konzerte organisieren zu können, offene Küchen organisieren zu können, das ist einfach immer eine Chance, zumindest auf einem kleinen Fleck eine bessere Welt anzubieten, Rückzugsräume für bestimmte Menschen, die die sonst einfach nicht finden.
Nils: Für uns bspw. ist heute besonders cool, als Bremer Band hier eine Soli-Show für das Alte Sportamt Bremen zu spielen, also für ein ähnliches Projekt, das besetzt ist und gerade Stress von Politik und Polizei bekommt. Es ist cool, dass hier in der Rigaer Straße, die selbst bedroht ist, Soli-Konzerte für andere Zentren gespielt werden und das so ein gemeinsames Ding ist, bei dem alle darauf achten, dass diese wichtigen Räume erhalten bleiben. Hier können Sachen geschaffen werden können, die in unserer Gesellschaft sonst leider nicht so oft funktionieren.
Auch live wissen Postford übrigens zu überzeugen:
Quelle: YouTube
Jacob: Gestern haben wir in Hamburg im Störte gespielt, was ja quasi zur Hafenstraße gehört. Die Häuser wurden in den 80ern besetzt, es wurde unfassbar hart dafür gekämpft, die Politik hat Druck gemacht und heute, 30 Jahre später, besteht das immer noch und du kannst dort Konzerte geben und die Leute dort setzen sich jetzt ganz aktuell für Refugees ein, organisieren, tun und machen. Und das ist einfach wahnsinnig wichtig.
Ist das dann eher das Deutschland, das ihr mit euren Texten ansprechen wollt?
Jacob: Das hat mit Deutschland für uns nichts zu tun, sondern es ist die Welt und die Gemeinschaft, der wir uns verbunden fühlen. Es gibt für mich kein ideales Deutschland, sondern immer nur die Utopie einer Gemeinschaft, die keine festen Grenzen hat, wo alles vielmehr fließend ist. Das muss für mich kein Label haben. Ob das jetzt ein religiöses Label wie das Christentum ist, in dessen Rahmen ich mich mit Menschen verbunden fühlen kann, auf der anderen Seite aber auch von anderen Menschen abgrenzen kann, die dem Christentum nicht angehören. Genauso geht es mir mit Deutschland. Ich brauche dieses Label nicht, sondern ich bin einfach ein Lebewesen. Das klingt hippiemäßig, aber da ist für mich das friedvolle Zusammenleben mit anderen Lebewesen das Wichtigste und nicht, dass irgendeine Plakette draufsteht.
Okay! Apropos Label: Ihr seid ja beim Düsseldorfer Label Raccoone Records, das ausschließlich auf analoge Formate setzt, und habt dort eine Kassette herausgebracht. Kommt das Medium wieder?
Nils: Offensichtlich!
Jacob: Ich glaube, für mich ist die Kassette ein wenig verbunden mit der Nostalgie bezüglich des Mixtapes. Das scheint mir gerade eher so ein Spaßding zu sein. Und wir stehen einfach nicht so auf CDs. Unser Album wird zum Beispiel auch nur auf Schallplatte und digital erscheinen. Keine CD, kein gar nichts.
Was habt ihr gegen CDs?
Jacob: Das Medium war quatsch. Eine CD ist nach 15 Jahren einfach gelöscht. Unsere Songs stehen auch frei zum Download im Internet. Man muss sie nicht kaufen. Wenn man kein Geld dafür geben will, herzlich Willkommen, aber man muss das nicht, darum sind wir auch nicht böse. Unsere Musik ist ein freies Gut. Nur weil man das geil findet, heißt das noch nicht, dass man uns Geld geben muss. Das ist alles okay. CDs sind auch einfach hässlich und so eine Kassette ist dann schon wieder ein haptisches Erlebnis. Da baut man auch ein schönes Booklet hinein und kann es ausklappen. Bei der Schallplatte ist das noch schöner.
… weil das Öffnen und Auflegen auch so ein schönes Ritual ist?
Jacob: Genau, und umdrehen muss man eine Kassette, außer im Auto, ja auch. Aber bei der CD geht durch die Möglichkeit des Skippens die Wertigkeit des Albums als Ganzes verloren. Und es gibt ja auch im Punk viele Bands, die ihr Album ganz bewusst für die Schallplatte zusammenstellen, und dafür entscheiden, in welcher Reihenfolge die Lieder kommen. Man hat in der Mitte einen Höhepunkt und einen Ausklang, dann dreht man die Platte um, hat einen kurzen Moment Ruhe, und dann geht’s wieder los. Es steckt einfach ein Spannungsbogen drin. Das hat die CD nicht. Das bietet das Medium einfach nicht.
Zu einer CD hat man auch keine so persönliche Beziehung, oder?
Jacob: Ne. Die letzte CD, die ich gekauft hab, war Crossroads von Bon Jovi, 1994. Ich glaube, das sagt schon alles.
Auf jeden Fall ist es ein guter Schlusssatz. Vielen Dank für das Gespräch!
Postfords Kassette gibt’s übrigens hier und den Walkman dazu hier. Oder auf dem Dachboden. Oder beim Flohmarkt eures Vertrauens.
Mehr zu Deutschpunk und Sprachcodes? Leerstellen in der Musik: Der Turbostaat-Code
Titelbild: © http://www.diegoldenehor.de/. Sämtliche Konzertbilder wurden am 15.8.2016 in der Baracke Münster aufgenommen.
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